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Klimakrise

Katja Diehl: "Wir zahlen für die Autos der Anderen. Ist das gerecht?"

Ohne Mobilitätswende wird der Kampf gegen die Klimakrise nicht gelingen. Das heißt: Raus aus dem Auto. Im Buch "Autokorrektur" zeigt Katja Diehl wie das gehen kann. Die Verkehrswende klappe nur, wenn wir Ungleichheit, Armut und Diskriminierung beenden.

 

Ohne Mobilitätswende wird der Kampf gegen die Klimakrise nicht gelingen. Das heißt: Raus aus dem Auto. Im Buch „Autokorrektur“ zeigt Katja Diehl wie das gehen kann. Die Verkehrswende klappe nur, wenn wir Ungleichheit, Armut und Diskriminierung beenden. „Wenn du das nicht löst, bleiben die Leute im Auto sitzen“, sagt sie im Interview.

MOMENT: Die Menschen raus aus den Autos! Das fordern Sie kurzgefasst in Ihrem Buch „Autokorrektur“. Ist das eine radikale oder eine vernünftige Lösung?

Katja Diehl: Radikal hat bei uns einen negativen Beiklang. Es wird schnell missdeutet als: Mit Brutalität an etwas herangehen. Radikal bedeutet aber: an die Wurzel gehend. Ich glaube, wir brauchen etwas Radikales. Wir behandeln diese Zentrierung aufs Auto bisher wie eine Naturkatastrophe. Als sei ein Tsunami über unsere Länder geschwemmt und hätte uns ganz viele Autos reingespült.

 
MOMENT: Aus Sicht vieler Autobesitzer:innen, der Industrie und zahlreicher Politiker:innen ist die Idee von Autofreiheit nicht nur radikal, sondern eine Bedrohung. Wie wollen Sie diese Menschen überzeugen?

Diehl: Wir müssen dieses Narrativ von „wir müssen alle mitnehmen“ hinterfragen. Mein Eindruck ist: Wir tun so, als wenn der jetzige Zustand der Garten Eden ist, in dem es allen gut geht. Und dann kommen diese Leute und wollen uns die Autos wegnehmen. Das stimmt aber einfach nicht. Es ist eine Lüge. 13 Millionen Erwachsene in Deutschland haben keinen Führerschein. 13 Millionen Kinder sind zu jung für einen Führerschein. Und 13 Millionen Menschen leben in Deutschland in Armut. Das heißt: Für ist ein Auto auch eine ziemliche finanzielle Belastung. Diese Menschen haben auch den geringsten Autobesitz: nämlich nur 47 Prozent. Und jene, die ein Auto haben, hätten die zwei bis dreihundert Euro, die das monatlich kostet, sicherlich gern für das Haushaltsbudget.

 
MOMENT: Für die heißt es ja oft: Ohne Auto geht es gar nicht.

Diehl: Dem bin ich im Buch nachgegangen. Ich habe verschiedenste Leute gefragt: Willst du oder musst du Auto fahren? Bist du eine Person, die gerne Auto fährt und das immer genießt, in diesem Auto zu sein? Oder bist du im Auto, weil es keine Alternativen gibt, weil du dich nicht sicher fühlst oder weil es keine Radwege gibt? Die zweite Frage war: Kann ein Mensch ohne Führerschein dein Leben führen? Als Antwort kam ganz oft: Nein! Man muss Auto fahren, um mein Leben so zu leben, wie ich es lebe. Ich bin davon abhängig.

Ich versuche das dann einmal umzudrehen. Wenn sich im ländlichen Raum nichts ändert und man dort weiter immer Auto fahren muss, dann dürften 13 Millionen Erwachsene in Deutschland nicht im ländlichen Raum leben. Das ist eine Art Zugangsbeschränkung – in Form eines Führerscheins und eines eigenen Autos. Aber was ist denn, wenn du so krank wirst, dass du kein Auto mehr fahren kannst? Was ist, wenn dein:e Arbeitgeber:in Konkurs anmeldet und das Geld nicht mehr da ist für ein Auto? Da sagen viele: Ja, dann sieht‘s düster aus, und das macht Angst.

 
MOMENT: Was sie in ihrem Buch in Frage stellen ist auch das oft beschworene Mantra von Personen in Machtpositionen, die sagen: „Der kleine Mann“ muss sich das Auto noch leisten können. Sie sagen: Menschen sollten vom Auto entlastet werden.

Diehl: Menschen in Armut spielen immer dann eine Rolle, wenn die Benzinpreise steigen oder ähnliches. Ansonsten kümmert man sich aber nie um sie. Dann hätten wir ja zum Beispiel die Gehälter in der Pflege deutlich erhöht. Warum verdienen Menschen in der Pflege so viel weniger als Menschen, die ein Auto herstellen? Es geht dabei nicht darum, die Armut in Deutschland zu beenden. Wir kümmern uns darum, die Autoabhängigkeit aufrecht zu erhalten.

Im Buch kommt auch eine Frau zu Wort: alleinerziehend, mit vier Kindern, in Armut lebend. Die sagt, Auto ist für sie etwas, wo sie am Anfang des Monats nie weiß, wie teuer das am Ende wird. Was, wenn sie über einen Ast fährt, und der macht ihr den Unterboden kaputt? Oder wenn sie am Ende des Monats entscheiden muss: Tanke ich noch, damit ich die Kinder zur Schule bringen kann oder bekommen sie Bio-Essen?

 
MOMENT: Muss dann also Autofahren teurer werden oder die Alternativen billiger?

Diehl: Es geht erstmal darum, dass das Auto gleichberechtigt wird, also unbequemer wird. Parkplätze umsonst ist ein Unding. Wir müssen aufhören mit Subventionen fürs Autofahren wie Dienstwagenprivileg und Dieselprivileg. Wir zahlen in Deutschland 141 Milliarden Euro Folgekosten von Autoverkehr jedes Jahr. Alle Steuerzahler:innen zahlen die mit. Da guckt keiner hin und fragt: Ist das effizient? Ist das gerecht? Wir sind es einfach gewohnt. Das beginnt – so bitter es ist – mit den fast 3.000 Verkehrstoten im Jahr. Das sind acht am Tag. Warum berührt uns das nicht? Warum ist es so, als sei es ein Naturgesetz ist, dass acht Leute am Tag verschwinden?

 
MOMENT: Die Gegner:innen sind zahlreich, für sie scheint die Abkehr vom Auto denkunmöglich und auch gar nicht erwünscht. Wie kann man die überzeugen?

Diehl: Die Hardcore-Autofans, sind nicht die, die ich erreichen werde. Die sitzen aber manchmal in den Ämtern, wo sie Dinge vorantreiben müssten. Hier in Deutschland ist noch nicht ausgesprochen worden, dass wir weniger Autos haben wollen. Gesagt wurde: Wir bauen bis 2030 mindestens 15 Millionen Elektroautos. Was ist das für ein Ziel? Sollen die noch dazu kommen? Sollen die die Verbrennerautos ersetzen?

Machen wir besser Angebote, damit Leute das Auto gar nicht erst anschaffen. Das beste Auto ist das, was nicht gebaut werden muss. Die Gegner:innen leben sehr gut im Status quo. Die haben auch keinen Kontakt zu Menschen, denen das nicht passt. Sie denken, meine Art der Mobilität ist bestimmt auch die von tausend Anderen. Die haben vielleicht ein gutes Gefühl, das zu verteidigen. Deswegen habe ich das Buch geschrieben: Damit man die Leute mal kennenlernt, die nichts davon haben, dass wir automobil sind.

 
MOMENT: Sie schreiben es auch in ihrem Buch: Am Land ist der komplette Verzicht aufs Auto derzeit nicht zu machen. Was kann man denn dort dennoch tun, um zumindest die Abhängigkeit zu verringern?

Diehl: Ich war in Konzernen tätig und bin auch viel geflogen und es war immer das Gleiche: Kaum berührt das erste Rad den Boden in London-Heathrow, springen die Business-Herren auf und telefonieren. Ich hab mir immer nur gedacht: Was für ein Theater macht ihr da nur? Ich denke, das ist das Schwierigste an der Verkehrswende. Wir werden keinen Ersatz haben für diese Wichtigkeit, die suggeriert wird durch die Art der Mobilität: Ich habe keine Zeit, ich muss fliegen. Ich habe so viel zu tun, ich muss das Auto nehmen.

Wir müssten sagen: Wie wär es mit ein bisschen weniger Tempo? Wie wäre es damit, die Arbeitswelt anders zu denken: Vielleicht am Land gute Glasfaserkabel liegen haben und Coworking Spaces dort etablieren? Damit die Leute nur einmal in der Woche ins Büro fahren müssen. Also die Dinge, die wir in der Stadt haben, bewusst ins Land bringen. E-Bike-Leihsysteme sind gut, um zur nächsten Haltestelle, zum nächsten Bahnhof zu kommen. In Deutschland gab es gerade eine Umfrage, nach der genauso viele Leute auf dem Land wie in der Stadt Radfahren wollen. Sie tun es aber nicht, weil sie sich unsicher fühlen. Dann sollte man dafür sorgen, dass diese Leute sich auf dem Fahrrad so sicher fühlen können wie im Auto.

 
MOMENT: Sie schreiben auch, viele Menschen säßen nur im Auto, weil sie sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen können.

Diehl: Es gibt Leute, die nicht nur wegen mangelnder Alternativen im Auto sitzen. Sondern, weil sie nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Menschen, die Anfeindungen an Haltestellen und im öffentlichen Raum erlebt haben. Die haben im Auto einen Safe Space. Das geht bei Frauen los, die abends vielleicht nicht mehr im Bus sitzen möchten, weil 90 Prozent aller Frauen schon sexuelle Belästigung erfahren haben.

Die Wünsche dieser Menschen ähneln sich. Die sagen: Warum nicht ab 9 Uhr abends einen Waggon in der U-Bahn haben, wo eine Person mitfährt wie die Schaffner:innen bei der Bahn? Die Person kann Auskunft erteilen, Einstiegshilfe geben und könnte man direkt ansprechen, wenn irgendetwas sein sollte. Ich bräuchte das auch und ich würde einen Euro mehr zahlen, wenn ich wüsste, da ist dann jemand anwesend.

Das ist etwas, wo wir auch nicht fragen sollten: Rechnet sich das denn? Sondern wir sollten als Gesellschaft sagen: Wir machen das, weil es uns wichtig ist, dass alle Leute dieses Verkehrsmittel nutzen – und nicht wieder ausgeschlossen werden, weil sie Angst haben, dass ihnen was passiert.

 
MOMENT: Alle diese Maßnahmen kosten Geld, möglicherweise mehr, als wenn wir den Status Quo behalten und die Autos weiter fahren lassen wie bisher. Stimmt das?

Diehl: Das glaube ich nicht. Es wird immer geredet, der Markt regelt das. Aber nichts ist mehr reguliert als dieser Automarkt. Zum Beispiel: Wir geben in Deutschland bis zu 9.000 Euro an Leute, die gut verdienen und sich ein elektrisches oder nur ein teilelektrisches Auto leisten können. Auch mit der Pendlerpauschale. Ja, die kriegt jeder. Aber es sind eher gutverdienende Menschen, die damit steuerliche Vorteile geltend machen.

Ohne dass ich ein eigenes Auto habe, kosten mich die Autos der Anderen 500 Euro im Jahr. Dazu gab es eine Studie. Also warum werde ich als steuerzahlende Person nicht gefragt: Willst du das System Auto haben oder willst du öffentliche Mobilität pushen? Warum bekommt dieses eine Verkehrsmittel, was ja nur die Lösung für eine Person ist, so viel mehr Fördergeld als ein Bus, in den Dutzende Leute mit einsteigen können?

Die Lösung muss demokratischer werden. Die Menschen, die immer noch große Autos fahren wollen, werden das immer kaufen können. Aber die müssten dann auch entsprechend bepreist werden. Es anders als jetzt zu regeln, wäre nur eine Umschichtung von Geld, das wir eh ausgeben.

 
MOMENT: Sie behaupten an einer Stelle, niemand würde heute in ein Start-Up investieren, das ein Produkt namens Auto auf den Markt bringen möchte. Gewicht, Nutzung, Stehzeit seien völlig ineffizient. Aber Autos werden in Massen gekauft. Warum, wenn sie doch so ein Fehlkonzept sein sollen?

Diehl: Weil sie subventioniert sind. Die realen Kosten werden nicht erhoben. Vieles davon wird auf die Gemeinschaft abgewälzt. Es hat so viele Vorteile bekommen, die wir gar nicht mehr als Privilegien sehen, sondern als Recht und als Norm. Wir missdeuten das, weil wir es von Geburt an gewöhnt sind. Angefangen beim Bobbycar, den Comics, in denen Autos Gesichter haben und den Autoreifen-Schaukeln auf dem Spielplatz: Wir sind von Autos umgeben, ob wir jetzt wollen oder nicht. Das setzt einen Kreislauf in Gang.

Dazu gehört das Gefühl von: Ich habe etwas erreicht, ich habe einen Job, ich kann mir ein eigenes Auto leisten. Und das nächste Auto wird meistens größer. Es wird nie nach Bedarf gekauft, sondern immer nach maximalem eventuellem Bedarf. Ihr Gefühl sagt den meisten, sie bräuchten das Auto ständig und auch mindestens einen Mittelklassewagen. Leute haben mir geschrieben, dass sie über drei Monate ein Fahrtenbuch geführt haben. Die waren danach entsetzt, wie sie ihre Automobilität überschätzt haben.

 
MOMENT: In ihrem Buch sprechen sie an, dass mit der Verkehrswende andere gesellschaftliche Probleme angegangen werden müssen: Diskriminierung, Armut und Ungleichheit etwa. Könnte die Verkehrswende helfen, Ungleichheiten zu bekämpfen oder ist sie Voraussetzung dafür.

Diehl: Das ist das Anstrengende daran: Ich kann nicht über Mobilität schreiben, ohne an Feminismus zu denken. Die Mobilitätswende ist ein dünner Lack und direkt darunter hast du die ganzen fiesen Probleme unserer Gesellschaft, die du lösen müsstest. Denn wenn du die nicht löst, bleiben die Leute im Auto sitzen. Eine schwarze Frau mit vier Kindern, die ich interviewt habe, fährt einen SUV. Sie hasst es, dass sie von außen als Umweltsau gesehen wird.

Sie sagt: Deine Mobilität ohne Auto frei gestalten zu können, ist ein Privileg. Das ist ein Satz, den verstehen die Leute gar nicht. Wieso soll das ein Privileg sein? Aber Jasmina sagt: Ich will nicht Auto fahren, ich mache das zum Schutz meiner Kinder. Wenn sie zu fünft ab einer gewissen Uhrzeit in Berlin in einen Bus einsteigen, dann könne sie für nichts garantieren. Nicht jeder Mensch, der ein Lenkrad in der Hand hält, tut das freiwillig. Das nicht zu bemerken, ist auch eine gewisse Arroganz.

 

Zur Person: Katja Diehl, geboren 1973, publiziert zu Verkehrswende und Mobilitätswandel und bietet Beratung dazu an. Sie arbeitete 15 Jahre lang in Unternehmen der Logistik- und Mobilitätsbranche. Diehl betreibt den Podcast „SheDrivesMobility“ und ist Mitglied im Bundesvorstand des Verkehrsclub Deutschland (VCD).

 

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