Wie werden eigentlich Medikamente und Impfungen getestet?
Endlich: Langsam können sich manche von uns gegen Covid impfen lassen. Aber ist das überhaupt eine gute Idee? Woher wissen wir, dass Impfstoffe helfen? Und wie, dass sie nicht gefährlich sind? Sind alle Impfstoffe gleich gut? Diese Fragen beschäftigen derzeit viele von uns.
Die Sache wird nicht leichter dadurch, dass so viele widersprüchliche Nachrichten kursieren.
Viele Debatten rund um Impfungen und Medikamente
Auf der einen Seite gibt es die Leugner, die gar nicht an die Existenz der Pandemie oder des Virus glauben. Und es gibt Leute, die (wie Donald Trump) meinen, sie sollten Bleichmittel trinken, um sich zu schützen, oder die sich fürchten, dass mit der Impfung irgendwelche Chips implantiert werden.
Auf der anderen Seite gibt es die Pharmafirmen, die Milliarden mit Medikamenten verdienen. Diese Firmen geben sehr viel Geld für Lobbying aus. Sie schicken ständig VertreterInnen herum, um ÄrztInnen von der Verschreibung ihrer Medikamente zu überzeugen. Und sie waren zuletzt mitverantwortlich an einer riesigen Welle der Sucht nach Schmerzmitteln (Opiaten) in den USA.
Und die Wirkungsweise der Medikamente ist sehr kompliziert. Niemand kann wirklich ganz genau sagen, was in unserem Körper alles passiert, wenn wir einen Impfstoff gespritzt bekommen.
Aber es ist nicht alles verloren. Zum Glück haben wir Behörden, die über die Zulassung von Medikamenten entscheiden (zum Beispiel die EMA in Europa, und die FDA in den USA). Und das tun sie auf Basis von sehr guten Methoden, um zu testen, ob Medikamente ungefährlich und effektiv sind. In diesem Artikel werde ich einen kurzen Überblick geben, wie diese Methoden funktionieren.
Wie Impfungen und Medikamente getestet werden
Die Grundidee ist ganz einfach: Wir vergleichen Leute, die das Medikament bekommen haben, mit anderen Leuten, die es nicht bekommen haben. Und dann schauen wir, ob bei einer Gruppe etwas öfter oder seltener passiert. Ob öfters Nebenwirkungen aufgetreten sind. Ob sie sich weniger oft anstecken, und so weiter.
Allerdings gibt es bei so einem Vergleich möglicherweise einige Probleme. Klinische Studien betreiben sehr viel Aufwand, um diese Probleme zu lösen.
Schritt 1: Vergleichbare Gruppen
Das erste Problem ist, dass die Gruppe, die das Medikament bekommen hat, möglicherweise schon von vornherein anders aussieht, als die Kontrollgruppe. Zum Beispiel bekommen derzeit vorrangig ältere Personen den Covid-Impfstoff. Die sind aber allgemein öfter krank und sterben öfter als jüngere Menschen – egal ob mit oder Impfung. Wenn wir jetzt einfach diese ältere Gruppe mit einer jüngeren Kontrollgruppe vergleichen, kann das Ergebnis ziemlich schlecht aussehen – obwohl der Impfstoff wirksam und ungefährlich ist.
Um dieses Problem zu lösen, verwenden klinische Studien Zufallsexperimente. Dabei werden die StudienteilnehmerInnen zufällig aufgeteilt. Manche bekommen ein Medikament, manche ein harmloses Mittel, ein sogenanntes Placebo. Damit können wir garantieren, dass die beiden Gruppen sich im Vorhinein sehr ähnlich sind. Wenn wir Unterschiede zwischen den Gruppen sehen, dann liegen die wahrscheinlich tatsächlich an dem Medikament.
Schritt 2: Tests vorher festlegen
Das zweite Problem ist, dass die Pharmafirmen gerne nur ihre erfolgreichen Ergebnisse an die Behörden berichten würden, während sie die Misserfolge verschweigen. Das lässt sich mit folgendem Gedankenspiel vergleichen: Wenn ich wiederholt einen Würfel werfe, wird manchmal eine 6 oben landen. Wenn ich jetzt immer nur weiter erzähle, dass ich den Würfel geworfen habe, wenn eine 6 oben gelandet ist, dann wird es so aussehen, als ob ich einen sehr besonderen Würfel habe. Dabei habe ich nicht einmal gelogen. Aber so kann natürlich niemand sagen, ob ich in Wirklichkeit einen fairen Würfel habe.
Um dieses Problem zu lösen, müssen klinische Studien im Voraus registriert werden. Dabei müssen die Pharmafirmen berichten, welches Medikament sie testen werden, an welchen PatientInnen, wie sie die Ergebnisse messen werden, und so weiter. Dadurch wird sichergestellt, dass sie nicht nur die Erfolge auswählen, um ihre Medikamente zugelassen zu bekommen.
Schritt 3: Große Tests und Gruppen
Das dritte Problem ist die statistische Unsicherheit. In unserem Leben passiert alles Mögliche. Wir werden krank, oder auch nicht. Das kann Gründe haben die gar nichts mit dem Medikament zu tun haben. Um beim Würfel zu bleiben: Es kann passieren, dass ich mehrmals hintereinander eine 6 werfe, auch wenn der Würfel fair ist.
Um dieses Problem zu lösen, wird in klinischen Studien die statistische Schwankungsbreite besprochen. Diese Schwankungsbreite sagt, wie sehr das Studienergebnis zufällig schwanken kann. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der wahre Effekt außerhalb der statistischen Schwankungsbreite liegt. Die Schwankungsbreite ist umso kleiner, je mehr Menschen an der Studie teilgenommen haben.
Die Schwankungsbreite sorgt oft für Verwirrung. Wenn es etwa heißt, dass wir statistisch nicht ausschließen können, dass ein Impfstoff Nebenwirkungen hat, ist das nicht dasselbe, als zu sagen, dass es wahrscheinlich Nebenwirkungen gibt. Weil sich zum Glück einige Zeit recht wenige mit Covid angesteckt haben, mussten die Impfstudien ziemlich groß sein. Nur so konnten sie genügend infizierte Menschen beobachten, damit die statistische Schwankungsbreite klein genug wurde. Darum hat die Zulassung auch so lange gedauert, nachdem die Impfstoffe schon erfunden waren.
Schritt 4: Positives nicht übersehen
Das vierte Problem ist, dass auch andere davon betroffen sein können, wenn wir ein Medikament bekommen. Bei Impfstoffen ist das etwas Gutes: Wenn wir vor einer Infektion geschützt sind, dann schützen wir damit auch unsere Mitmenschen. Und die stecken dann wiederum keine weiteren Leute an, und so weiter. Darum ist es auch eine Frage der sozialen Verantwortung, sich impfen zu lassen. Diese indirekten Effekte werden aber in Medikamentenstudien meistens nicht erfasst. Die Studien sehen sich nur die Effekte auf diejenigen an, die tatsächlich selbst das Medikament bekommen haben. Deswegen unterschätzen die Impfstudien wahrscheinlich den sozialen Nutzen der Impfung.
Der österreichische Top-Wissenchafter Max Kasy erklärt normalerweise StudentInnen in Oxford und Harvard die Wirtschaft. MOMENT fordert ihn in der neuen Serie „Erklärs mir doch ganz einfach“ heraus, komplizierte Konzepte und Begriffe in verständliche Sprache zu übersetzen.