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Klimakrise

Organisationswissenschaftler: Darum scheitern Klimagipfel

Organisationswissenschaftler: Darum scheitern Klimagipfel

Die COP 25 in Madrid ist gescheitert. Organisationswissenschaftler Clemens Rüling erklärt, warum auf den Klimakonferenzen seit 20 Jahren zu wenig passiert und warum Greta Thunberg und Alexander Van der Bellen Hoffnung geben.

Obwohl die Klimakatastrophe droht, konnten sich die Staaten bei der COP 25 in Madrid erneut nicht auf gemeinsame Schritte einigen. Haben solche Mega-Events überhaupt einen Sinn? Organisationswissenschaftler Clemens Rüling hat zu den Konferenzen geforscht. Er sagt: „Für nicht zum Handeln bereite Teilnehmer wird es immer einfacher, Fortschritte zu torpedieren. Man kann an allen Ecken und Enden bremsen.“ Greta Thunbergs Auftritt und Reden wie die von Alexander Van der Bellen, könnten aber etwas verändern. Es braucht großen öffentlichen Druck auf die Politik.

 

MOMENT: Noch nie wurde eine UN-Klimakonferenz so weit verlängert wie die in Madrid: 40 Stunden länger als geplant rangen die Verhandler miteinander. Die Bilanz schaut dürftig aus. War das zu erwarten?

Clemens Rüling: Ja und nein! Man muss grundsätzlich fragen, was diese großen Konferenzen überhaupt erreichen können. Der Klimawandel unterscheidet sich von vielen anderen Umweltthemen, bei denen man sich auf klare internationale Regeln einigen konnte, wie beim Verbot von FCKW oder dem Insektizid DDT. Da ging es darum, einzelne Substanzen zu verbieten und vom Markt zu nehmen. Beim Klimawandel hakt es schon an der Natur des Problems selbst: Man kann ihn nicht einfach stoppen. Der Klimawandel ist eingebunden in das alltägliche Verhalten der einzelnen Menschen. Letztlich geht es darum, am Alltagsverhalten und dem Konsum von Milliarden Menschen etwas zu ändern.

 

MOMENT: Aber die Regierungen können viel stärker als der Einzelne Änderungen anstoßen, beispielsweise, indem sie es belohnen, weniger CO2 auszustoßen. Sie müssten sich aber darauf einigen und das ist wieder nicht passiert.

Rüling: Regierungen können Weichen stellen, und zum Beispiel versuchen, über CO2-Steuern und Emissionszertifikate Anreize zu setzen. Im Grunde sind wir aber in 20 Jahren der Klimakonferenzen nicht weitergekommen, und ich bin zunehmend pessimistisch, was eine verbindliche Regulierung des Ausstoßes von CO2 angeht.

 

MOMENT: Sie haben sich angeschaut, wie Klimakonferenzen in der Vergangenheit liefen und warum die Staaten trotz dringender Probleme und des immer größeren öffentlichen Drucks offenbar nicht bereit sind zu handeln. Warum geht es nicht weiter?

Rüling: Es gibt ein Paradox: Auf den ersten Blick ist es ja ein Erfolg, dass die Konferenzen immer mehr Aufmerksamkeit bekommen. Immer mehr Teilnehmer bringen sich ein, die Politik setzt sich immer stärker damit auseinander. Aber genau dieser Erfolg erschwert, dass die Teilnehmer sich einigen. Die große Präsenz in den Medien und die ganz massive Präsenz der Regierungschefs bei den Konferenzen erschwert es, zu eigentlichen Kompromissen zu kommen. Früher war es üblich, dass Regierungschefs nur alle 5 bis 10 Jahre bei so einem Gipfel dabei sind. Jetzt wurde in Medien diskutiert, warum Angela Merkel nicht nach Madrid gereist ist, sondern den Umweltminister geschickt hat. Auf die Politiker wird großer Druck ausgeübt, sich zu äußern und Positionen zu beziehen. Das wird den Detailfragen, um die es beim Gipfel ging, aber gar nicht gerecht. Es gibt einen Bruch zwischen dem, was auf der technischen Ebene verhandelt wird, und was politisch dargestellt werden kann.

Man ist schon damit zufrieden, dass es keine Rückschritte gibt.

MOMENT: Im Bereich Klima muss sofort und nachhaltig gehandelt werden. Große Konferenzen scheinen dafür überhaupt nicht gemacht. Hier geht es darum, den kleinsten gemeinsamen Kompromiss zu finden, alle müssen ins Boot geholt werden. Kann das noch funktionieren oder muss man alles einmal neu denken und anders angehen?

Rüling: Schauen wir zurück: Nachdem das Kyoto-Protokoll in Kraft getreten ist, riefen die darin getroffenen, rechtlich bindenden Vereinbarungen völlig neue Akteure auf den Plan. Die Kyoto-Instrumente waren technisch anspruchsvoll. Sie umzusetzen ging sehr in Details und die wurden immer kleinteiliger. Selbst die Spezialisten, also die eigentlichen Verhandler, sind seitdem jeweils nur noch für ein Thema zuständig: etwa die Rodung der Regenwälder oder die Erwärmung der Meere. Dabei besteht dann die Gefahr, das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Die Konferenz von Paris war ein Moment, in dem man hoffte, dass es vorangehen würde. Jetzt muss man erneut eingestehen, dass der Gipfel gescheitert ist. Im Prinzip gibt man sich schon damit zufrieden, dass es keine Rückschritte gibt. Ich habe mit vielen Klimaforschern gesprochen: Viele von ihnen hoffen jedes Mal, dass der gordische Knoten endlich zerschlagen wird und es unerwartet doch zu einer Einigung kommt.

 

MOMENT: Die COP25 war eher eine technische Konferenz, betonten Teilnehmer. Es sollte das Pariser Abkommen mit Leben erfüllt und umgesetzt werden. Doch weder in den Verhandlungen um den Artikel 6 konnte man sich einigen, noch auf einen Fonds für von der Klimakrise besonders betroffenen Ländern. Es war also selbst bei geringen Erwartungen ein Misserfolg.

Rüling: Es wurde schon erwartet, dass es sichtbar vorangeht. Aber gerade jetzt, wo die Prozesse so kleinteilig sind und es so viele Brüche gibt, ist es für nicht zum Handeln bereite Teilnehmer noch einfacher, Fortschritte zu torpedieren. Man kann an allen Ecken und Enden bremsen. Länder steigen aus dem Pariser Abkommen wieder aus. In den USA, in Australien werden neue fossile Energiequellen erschlossen.

 

MOMENT: Man bekommt den Eindruck, diese Gruppe der Bremser wird immer größer?

Rüling: Aus meiner Sicht ist ziemlich offensichtlich, dass sich die USA querstellen. Sie sind ja auch schon aus dem Kyoto-Protokoll ausgestiegen. Und dennoch äußern sich die USA auf den Konferenzen immer positiv: Es gehe voran, kleine Schritte würden unternommen und man tue eh alles, sagen sie. Aber eigentlich bewegt sich nichts. Viele Staaten sind nicht bereit, sich auf transnationale und bilaterale Prozesse einzulassen. Große Länder, Brasilien zum Beispiel, haben ihre Einstellung zum Klimawandel grundlegend geändert und sich politisch neu orientiert. Und das strahlt wiederum auf andere Länder aus.

Man muss fragen: Ist es besser, wenn die größten Länder das unter sich aushandeln?

MOMENT: Jetzt wurde beim Gipfel gestritten, die großen Industrieländer sollen sich zu ihrer Verantwortung für die Klimakrise bekennen. Was sie in dieser Form nicht wollen. Die sich entwickelnden Länder sollen gleichzeitig mehr gegen die Klimakrise tun, sagen die großen Industriestaaten. Sich auf diese Art gegenseitig die Schuld zuzuweisen, trägt doch aber genau nichts dazu bei, die Erderwärmung zu verlangsamen.

Rüling: Ja, seit 2005 wird um diese geteilte Verantwortung besonders heftig gestritten. Das kommt aus der Historie: Als die Rahmenkonvention 1992 aufgesetzt wurde, haben die damals führenden Industriestaaten anerkannt, dass sie für den Klimawandel historisch verantwortlich sind. Also müssen sie auch die Hauptlast tragen. Seit 1992 ist China ökonomisch enorm gewachsen. Das war damals nicht abzusehen. Absolut gesehen hat China heute die höchsten Emissionen, auch wenn diese auf die Bevölkerungszahl umgerechnet nur etwa der Hälfte der USA entsprechen.

 

MOMENT: Die Schwellenländer wollen sich aber nicht verwehren lassen, denselben Lebensstandard wie die alten Industriestaaten zu erreichen, den sich die größten Industrieländer ja auch nicht nehmen lassen wollen. Lässt sich das überhaupt lösen?

Rüling: Ein Grundproblem ist, dass alles Entscheidungen einstimmig sein müssen. Es ist zu fragen, ob es nicht besser ist, wenn sich die 10 bis 15 größten CO2 ausstoßenden Länder zusammensetzen und das unter sich aushandeln. Auf der anderen Seite ist es aber einfach ein globales Problem. Viele vom Klimawandel betroffene Länder sind sehr klein und haben nicht diese ökonomischen Ressourcen. Deshalb ist es wichtig, dass jeder eine Stimme hat. Sie haben also dieses Ideal des gleichberechtigten politischen Prozesses und die Realität, dass Länder enorm unterschiedliche Möglichkeiten haben, etwas zu bewirken.

 

MOMENT: Kann man diesen gordischen Knoten, von dem Sie gesprochen haben, irgendwann doch einmal lösen?

Rüling: In unserer Forschungsarbeit versuchen wir aufzuzeigen, dass die wirklich existenzielle Kritik daran, wie die Politik auf den Klimawandel reagiert, eigentlich völlig untergeht. Die kleinen Inselstaaten, die jetzt schon betroffen sind vom Klimawandel und drohen unterzugehen, bringen diese Kritik hervor. Die NGOs und Jugendorganisationen stellen die Klimapolitik ebenfalls infrage. Bisher lief das aber ins Leere. Die Politik ist nicht in der Lage, diesen ritualisierten Rahmen, in dem die Konferenzen ablaufen, zu durchbrechen. Schauen sie Deutschland an: Wie die USA betonen auch sie, dass es Fortschritte gebe und sie sehr froh seien, ein Stück weitergekommen zu sein. Das ist eine positive Rhetorik, die ganz wenig die reale Lebenswelt einbezieht.

Wenn ein Staatschef auftritt wie Van der Bellen kann das etwas verschieben.

MOMENT: Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat beim Gipfel mit einem Plüscheisbären in der Hand eine aufrüttelnde Rede gehalten. Wenn ein lebenserfahrener Mann und Politiker so aus der beschwichtigen Rolle ausbricht, die Politiker der Industrieländer oft einnehmen: Durchbricht das die ritualisierte Kritik und bewirkt etwas?

Rüling: Es ist neu, wenn jetzt ein europäischer Staatschef auftritt, wie es Van der Bellen getan hat. Wenn die Vertreter der Industrieländer sich die Argumente der Jugend und kleinen Länder und der NGOs zu Eigen machen, kann das etwas verschieben. Vorher hat das nur einmal stattgefunden: Das war Al Gore für die USA, der 1997 in Kyoto eine persönliche und emotionale Rede hielt. Ansonsten bleibt das aus.

 

MOMENT: Braucht es also mehr solcher Auftritte, wie den von Van der Bellen. Oder verpuffen die genauso wie die bereits ritualisierte Kritik der Jugend und die positiv ummantelten Statements vonseiten der großen Industrieländer?

Rüling: Wir haben uns gefragt: Kann eine fundamentale Kritik im Rahmen der Klimakonferenzen funktionieren? Und wir sehen, dass es eigentlich nicht funktioniert. Wir greifen dabei eine Unterscheidung zwischen drei Arten der Kritik auf. Das erste ist der „Truth Test“, der in erster Linie den Status Quo bestätigt. Das bedeutet praktisch zu sagen, wir haben jetzt ein Arbeitsprogramm beschlossen mit diesen und jenen Punkten und jetzt geht es darum, wie man die festgelegten Ziele erreichen kann. Zum Beispiel der Adaptation Fund, mit dem man armen Ländern helfen will, klimafreundliche Technologien zu entwickeln. Diese Zahlungen laufen noch nicht so, wie sie sollten, aber eigentlich ist alles auf dem besten Weg.

Daneben gibt es den „Reality Test“: Hier wird bereits kritischer ein Unterschied zwischen den Zielen und der Realität angemahnt, zum Beispiel wird festgestellt, dass wir in den Verhandlungen den eigentlichen Zielen weit hinterherhinken. Da sind wir aber noch nicht dabei, unsere Politik selbst grundsätzlich in Frage zu stellen. Bei dieser dritten Art der Kritik, dem „Existential Test“, wird versucht, die reale Lebenswelt in die Verhandlungen hineinzubringen. Schon 1997 hat Tuvalus Präsident gefordert, dass sich alle einmal in seine Schuhe hineinversetzen und sich fragen sollen: Was würde ich tun? Dass sie an ihre Kinder und Enkelkinder denken sollten. Diese grundsätzliche Infragestellung gibt es schon lange, vor allem seitens der ökonomisch schwächeren und dem Klimawandel ausgesetzten Länder.

Es wird geradezu erwartet, dass Schüler auf dem Podium in Tränen ausbrechen.

MOMENT: Beim Gipfel in Katowice 2018 hielt Greta Thunberg eine vielbeachtete Rede. Sie schreiben davon, dass diese Kritik der jungen Generation an der stillstehenden Klimapolitik, für die Thunberg steht, inhaltlich aber gar nicht neu ist.

Rüling: Die Argumente sind seit 20 Jahren immer dieselben und laufen genauso durch. Auch auf vorherigen Gipfeln gab es junge Redner, die sagten: Schließt die Augen, denkt an die zukünftigen Generationen, seht euch nicht als Politiker, sondern als Familienväter und überlegt, was für eine Welt ihr euren Kindern hinterlassen wollt. Genauso sagt es auch Greta Thunberg: Ihr habt mein ganzes Leben lang verhandelt und jetzt stehen wir mit leeren Händen da. Solche Auftritte werden eigentlich erwartet. Zynisch gesagt: Es wird geradezu erwartet, dass Schüler auf dem Podium in Tränen ausbrechen. Das ist eben die Tragik gerade der Vertreter der Jugendorganisationen, die engagiert Kritik üben, Wohlwollen und Applaus bekommen, aber eigentlich nicht gehört werden. Das ist dann Kritik als sinnentleertes Ritual.

 

MOMENT: Ist nicht zumindest der öffentliche Druck jetzt größer?

Rüling: Auch wir sind davon ausgegangen, dass der Auftritt von Greta Thunberg genauso im Sand verlaufen wird wie andere davor. Aber: An diesem Punkt ist es aus dem Feld der Politik hinausgetragen worden, die Zivilgesellschaft hat es aufgenommen. Es gibt jetzt ein Gegengewicht, das ist ein Fortschritt.

Die mobilisierten Jugendlichen nehmen die Politik jetzt in die Pflicht. 

MOMENT: Also wirkt diese Mega-Konferenz schon, aber nur indem es die Menschen aufrüttelt und darauf aufmerksam macht, dass wir ein Riesenproblem haben, und dennoch nichts passiert?

Rüling: Ja, man sieht, dass die politische Ebene allein nicht reicht, etwas zu ändern. Durch die Mobilisierung der Schüler, der Jugendlichen und darüber hinaus gewinnt es eine andere Symbolik. Die Politik wird jetzt stärker in die Pflicht genommen.

 

MOMENT: Wenn man es böse formuliert: Auf der Konferenz selbst wird also nur eine teure Kulisse aufgebaut, um der Öffentlichkeit das Problem bewusst zu machen. Echte politische Entscheidungen in der Klimapolitik werden aber anderswo oder gar nicht getroffen.

Rüling: Auf der anderen Seite: Wenn die Konferenz, wie jetzt, unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit scheitert, kann man schon einen Druck auf die Politik aufbauen. Es braucht diese großen Momente, um das Problem und das Risiko des Klimawandels öffentlich bewusst zu machen. Es ist eigentlich falsch gedacht, sich davon einen großen Durchbruch zu erwarten. Es muss die Möglichkeit geben, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit Kompromisse zu finden. Das passiert ja schon. Die einzelnen thematischen Gruppen treffen sich das ganze Jahr über, es gibt kleinere Zwischenkonferenzen. Es ist eben schwierig einfach nur zu sagen: Wir müssen eine Sache ändern und dann wird alles gut! Das funktioniert beim Klimawandel nicht.

 

Zur Person: Prof. Dr. Charles-Clemens Rüling forscht im Bereich Organisationstheorie, insbesondere zu institutionellen Veränderungsprozessen, an der Grenoble Ecole de Management in Grenoble, Frankreich.

 

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