Rechtsextremismus-Barometer: Was können wir gegen Rechtsextremismus machen?
Gehören Muslim:innen zu Österreich? Welche Randgruppen hättest du gerne als Nachbarn? Und arbeiten politische Eliten am Austausch der österreichischen Bevölkerung?
Diese und ähnliche Fragen wurden vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) für das Rechtsextremismus-Barometer abgefragt. Knapp 2.200 repräsentativ ausgewählte Österreicher:innen haben daran teilgenommen. 10 Prozent der Bevölkerung weisen demnach eine deutlich rechtsextreme Einstellung auf. Doch bei vielen Fragen zeigt sich: Die Mehrheitsgesellschaft ist manchen rechtsextremen Einstellungen zugeneigt und zumindest nicht immer weit von rechtsextremen Einstellungen entfernt.
War Rechtsextremismus immer schon so normalisiert? Und was können Politik, Medien und Gesellschaft dagegen unternehmen?
Wer gilt eigentlich als rechtsextrem?
Die Forscher:innen des DÖW haben Rechtsextremismus über die Zustimmung zu drei Kategorien definiert: Dem Glauben an die Überlegenheit des eigenen Volkes (“Volksgemeinschaftsdenken”); der Überzeugung, dass sich der Stärkere durchsetzen sollte und nicht alle Menschen die gleichen Rechte haben sollten (“Antiegalitarismus”) und dem Wunsch nach starken Führerfiguren (“Autoritarismus”). Dabei wurden jeder Kategorie zwei Fragen zugeteilt.
Haben Menschen bei vier der sechs Fragen sehr oder eher zugestimmt, werden sie als gefestigt rechtsextrem eingestuft.
Wann werden rechtsextreme Einstellungen anschlussfähig?
Was das Rechtsextremismus-Barometer eindeutig zeigt: Einzelne rechtsextreme Einstellungen sind teilweise sehr weit verbreitet. Das heißt nicht, dass die Zustimmung dazu Menschen automatisch zu Rechtsextremen macht. Doch viele rechtsextreme Meinungen sind in der Bevölkerung anschlussfähig.
Hat das in letzter Zeit zugenommen? Das könne man nicht eindeutig beantworten, sagt der Rechtsextremismusforscher Andreas Peham vom DÖW: “Wir haben leider keine Vergleichsdaten dazu. Mit dem Barometer beschreiben wir einen Ist-Zustand”. In Zukunft werde es die Erhebung aber alle zwei Jahre geben. Überrascht war er von den Ergebnissen aber keinesfalls.
Menschen würden vor allem in Krisenzeiten auf rechtsextreme Einstellungen zurückgreifen. Das betreffe sowohl die persönliche Ebene, etwa Brüche in der Biografie, als auch Krisen auf einer globalen Ebene. “Dramatisch wird es, wenn sich Krisen auf mehreren Ebenen überlagern. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit für rechtsextreme Einstellungen stark an”, so Peham.
Was können wir gegen Verschwörungserzählungen machen?
Die Befragung des DÖW zeigt: Rechtsextreme Menschen glauben sehr stark an Verschwörungserzählungen. Doch dieser Glaube reicht weit in die Bevölkerung hinein. So stimmen 47 Prozent der Befragten der Aussage stark oder eher zu, dass geheime Organisationen großen Einfluss auf die Politik hätten und die österreichische Bevölkerung durch Zugewanderte ersetzt wird.
Wie können wir mit Menschen umgehen, die in diese Richtung abkippen?
Für Betina Aumair von der Radkalisierungsprävention der Wiener Volkshochschulen ist vor allem der Zeitpunkt relevant. “Man muss dagegen ankämpfen, wenn man es zum ersten Mal merkt. Sobald Menschen in dieses Rabbithole eingetaucht sind, gibt es immer weniger Möglichkeiten, sie wieder herauszuholen”, sagt sie.
Ganz wichtig sei es aber, sich klarzumachen, dass wir alle anfälliger dafür werden – gerade bei uns in Österreich. “Wir wachsen hier mit einer Mentalität auf, die dem Verschwörungsdenken sehr dienlich ist”, so Aumair. Der Katholizismus und Glaube an esoterische “Medizin” erfahre sehr viel Anerkennung, das mache anfällig.
Im Umgang mit Betroffenen müsse man sich auch bewusst sein, dass man sie nie mit einem Gespräch überzeugen könne. Im besten Fall könne man Zweifel säen, was bereits ein großer Erfolg sei, so Aumair. Und man könne sich auch immer professionelle Hilfe suchen, etwa bei der Bundesstelle für Sektenfragen.
Wie kann ich mit rechtsextremen Einstellungen in meinem Umfeld umgehen?
Patentlösung für den Umgang mit Rechtsextremismus gebe es keine, aber ein Aspekt sei laut Peham zentral: “Man muss zwischen der Person und ihrer Haltung unterscheiden. Ganz wichtig ist die Fähigkeit, hinter die Fassade zu blicken.” Was er bei Workshops mit Jugendlichen immer wieder erlebt habe: Hinter rechtsextremen Tendenzen würden sich oft andere Konflikte verbergen.
Es bringe auch wenig, über das Objekt des Hasses – seien es die “Ausländer”, Juden oder Muslime – aufzuklären. Man müsse direkt bei den Personen ansetzen. Die soziale Komponente werde oft zu wenig einbezogen. Einander wenn möglich auf Augenhöhe zu begegnen, ist auch für Aumair ein wichtiger Aspekt. “Solange es einem möglich ist, sollte man im Dialog bleiben. Man muss aber auch wissen, wie weit man das aushält”, sagt sie. Solange es geht, sollte man nicht endgültig brechen. Sondern der Person klarmachen, dass man da ist, wenn etwas gebraucht wird – aber es im Moment nicht mehr aushält.
Eines betonen Peham und Aumair gleichermaßen: Man dürfe sich nicht verbiegen, sondern müsse seine eigenen Standpunkte laut verteidigen. Und menschenverachtende Aussagen klar als solche benennen.
Wer sich organisiert, ist seltener rechtsextrem
Was gegen Rechtsextremismus hilft? Sehr viele alltägliche Dinge und Erfahrungen mit demokratischen Instrumenten.
Zum Beispiel ein Betriebsrat! Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Trier. Überraschend ist das nur auf den ersten Blick. Wer sich in der Arbeit organisiert und gemeinsam engagiert, empfindet auch mehr Solidarität mit anderen. Und das sei, laut Studie, unabhängig von Herkunft und Nationalität der Fall. Außerdem würde so auch das Vertrauen in demokratische Mitsprache und Systeme gestärkt.
Auch Demos für demokratische Anliegen können helfen. Die werden oft belächelt – man ändere damit nicht wirklich etwas an den Umständen und würde sich nur selbst beweihräuchern, so der Vorwurf. Doch auch hier gilt: Zusammenschluss sorgt für Solidarität. Man sieht und spürt, dass man nicht alleine ist. Und sendet damit auch ein sichtbares Symbol an die Gesellschaft.
Das funktioniert auch im Kleinen. “Man muss Möglichkeiten zum Austausch schaffen. Wir können nicht immer den Fokus darauf legen, wie schlimm es ist. Sondern darauf, wie wir zusammenleben wollen”, sagt Aumair. Was helfe: Andere Personen zu finden, mit denen man an Gegenentwürfen arbeiten könne.
Mehr Bildung lässt Rechtsextremismus nicht verschwinden
Wenn es um den Erfolg von rechtsextremen Parteien geht, wird häufig ein Klischee hervorgeholt: Es brauche eben mehr Bildung! Wer viel weiß, wählt sicher nicht rechts!
Die Einstellung ist etwas arrogant – und auch falsch. Bildung kann zwar helfen, aber ein niedriger Bildungsstand – der im Übrigen nichts mit Intelligenz zu tun hat – führt nicht automatisch zu Rechtsextremismus und ein hoher nicht automatisch davon weg. Ein Zusammenhang besteht vielmehr mit Zukunftsperspektiven: Wer pessimistisch für die Zukunft ist und sich auch vor dem eigenen Abstieg fürchtet, ist eher für rechtsextreme Einstellungen empfänglich. Untersuchungen zeigen, dass sich diese Ängste nicht bewahrheiten müssen, um Auswirkungen auf das Wahlverhalten zu haben. Das alles hängt manchmal mit formaler Bildung zusammen, aber eben nicht immer.
Dabei wird auch ignoriert, dass die politischen Funktionär:innen und Anhänger:innen rechtsextremer Parteien und Gruppen oft sehr gut ausgebildet und privilegiert sind. Würde es nur mit Bildung zusammenhängen, gäbe es auch keinen akademischen Rechtsextremismus.
Auch die Wirtschaft muss gegen Rechtsextremismus auftreten
Finanzielle Krisen und Rechtsruck hängen zusammen. Das haben nicht zuletzt die Präsidentschaftswahlen in den USA gezeigt: Drei Viertel der Menschen, die schwer unter der Teuerung gelitten haben, haben dort Trump gewählt. Auch bei den Landtagswahlen in der Steiermark war Teuerung das Thema, das die Wähler:innen im Wahlkampf am meisten beschäftigt hat. Kein Wunder: Österreich ist besonders schlecht durch die Krisen der letzten Jahre gekommen.
Es ist nicht “nur” die Teuerung. Etablierte politische Parteien tun sich immer schwerer damit, die ökonomischen Probleme der Bevölkerung zu erkennen und zu bekämpfen. Neoliberale Abkommen, Gesetze und Regelwerke wie Schuldenbremsen schränken den Handlungsspielraum der demokratischen Politik ein. Das wird gerade von rechten, liberalen und konservativen Parteien durchaus bewusst so gestaltet. Die EU-Mitgliedsstaaten bilden deshalb beispielsweise zwar eine Wirtschaftsunion, aber haben keine gemeinsame Sozialpolitik.
Dieses Problem neoliberaler Wirtschaftspolitik sehen auch immer mehr Ökonom:innen. Im Mai 2024 haben deswegen 70 Wissenschaftler:innen die “Berlin Summit Declaration” unterzeichnet. Darin fordern sie ein Umdenken in der Wirtschaftspolitik und den Wirtschaftswissenschaften, die sich mehr um den Wohlstand für alle kümmern müsse. Nur so könne man den Menschen die Machtlosigkeit nehmen. Der Glaube an die Märkte alleine reiche nicht, der Staat müsse dringend mehr eingreifen, um rechtsextremen Tendenzen zu bremsen. Die Ökonomin Isabella Weber bezeichnet diese Form der Ökonomie deswegen auch als “antifaschistische Ökonomie”.
In Österreich sind wir davon noch ein Stück entfernt. Hier solle sich der Staat endlich wieder zurückziehen, wenn es etwa nach Bundeskanzler Nehammer geht. Auch im Wirtschaftsprogramm der Neos und FPÖ sind derartige Elemente zu finden. Und dass gerade Teile der Industriellenvereinigung die FPÖ deshalb nicht ungern in der Regierung sehen würden, ist kein Geheimnis.
Die Politik darf rechtsextremen Parteien nicht ständig hinterherlaufen
Die FPÖ ist für viele andere rechten Parteien ein Vorbild. Sie schafft es seit knapp 40 Jahren, dass sie die großen Volksparteien vor sich hertreibt. Und sie kommt immer wieder zurück, selbst wenn sie sich selbst zerfleischt.
Ein Grund dafür ist der Umgang anderer Parteien mit der FPÖ. Sie kopieren ihre Inhalte und Sprache, weil sie sich damit mehr Erfolg erhoffen oder sich ihre Politiker:innen selbst in diese Richtung radikalisieren. Damit normalisieren sie Schritt für Schritt rechtsextreme Inhalte. Mehr Stimmen kriegen sie damit in der Regel nicht. Im Gegenteil: Die FPÖ wird immer größer, sie immer kleiner.
Was es braucht, sind klare Gegenangebote. Die demokratischen Parteien müssen Wähler:innen eigene, klare Visionen der Zukunft liefern. Und sich nicht nur den Mantel der FPÖ umlegen, ihre Sprache sprechen und ihre Politik umsetzen.
Medien dürfen das rechtsextreme Spiel nicht weiter mitspielen
Rechtsextreme sind keine großen Fans von (unabhängigen) Medien. Umgekehrt spielen viele Medien das Spiel von Rechtsextremen mit.
Einerseits sind das die Medien, die sich gerne instrumentalisieren lassen und mit der FPÖ Pingpong spielen. Sie sind nicht an der Lösung von Problemen interessiert. Das Zusammenspiel mit Rechtsextremen kann solchen Medien auf mehrere Arten nützen:
- Es kann ins eigene Weltbild passen.
- Es kann den Interessen der Eigentümer:innen dienen, die von rechten Regierungen keine faire Besteuerung befürchten müssen.
- Es kann den Klickzahlen nützen. Die kann man hochtreiben, indem man Probleme schafft, Ängste schürt und Menschen wütend macht – oder eben an weit verbreitete rechtsextreme Einstellungen anknüpft.
Es gibt andererseits Medien, die sich zwar als demokratisches Bollwerk verstehen, aber trotzdem mit der Angst vor Rechtsextremismus spielen. Dem Nachrichtenmagazin “Profil” wurde dieser Vorwurf beispielsweise schon oft gemacht. Es hat den ehemaligen FPÖ- und BZÖ-Chef Jörg Haider etwa 50 Mal aufs Cover geholt. Anfang des Jahres hat man dasselbe mit dem bekannten Rechtsextremen Martin Sellner gemacht. Ein Problem will man darin nicht erkennen. Dabei ist die Aufmerksamkeit eine sehr wichtige Währung für Rechtsextreme.
Medien müssen natürlich Probleme aufzeigen. Aber in der richtigen Größenordnung. Und sie müssen aufpassen, wie sie es tun, um von Extremist:innen nicht instrumentalisiert zu werden. Und sie müssen genauso über demokratische und menschliche Lösungen berichten.
Aufgeben tut man nur einen Brief
Für viele von uns war das Jahr 2024 eine politische Katastrophe. Teils offen rechtsextreme Parteien und Politiker:innen fuhren Wahlsieg um Wahlsieg ein. Sollen wir es also lassen? Geht sowieso alles zum Teufel?
Natürlich nicht! “Es ist immer wichtig, sich selbst nicht zu verantwortlich zu fühlen. Das führt nur zu Resignation”, sagt Peham. Apathie und Hoffnungslosigkeit sind Wasser auf den Mühlen des Rechtsextremismus. Sein Erstarken ist kein Naturgesetz, das wir nicht mehr abwehren können. Man vergisst dabei gerne, dass es auch positive Nachrichten gab: Bei den Wahlen in Frankreich ist der extrem rechte Rassemblement National etwa im zweiten Durchgang nur auf Platz 3 gelandet – das linke Bündnis hat noch vor dem liberalen gewonnen. In Großbritannien sind die immer weiter nach rechts abdriftenden konservativen Tories bei den Parlamentswahlen abgestürzt.
Es gibt Strategien, die wir als Gesellschaft anwenden können, um Rechtsextremismus zu bekämpfen. Aber nichts zu machen, ist keine Option.