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Demokratie

Posten für ihre Leute: Wie sich Sophie Karmasin als Ministerin ihren Job bei Insight Austria schuf

Sophie Karmasin im Interview zur Korruptionsaffäre.
Sophie Karmasin ist eine der Hauptfiguren in der Affäre um das System Kurz. Derzeit sitzt sie in Untersuchungshaft. MOMENT-Recherchen zeigen: Als Familienministerin förderte sie massiv, das "Kompetenzzentrum" Insight Austria im IHS einzurichten. Später übernahm sie dort die Leitung. Dokumente legen nahe: Sie setzte enge Vertraute an Positionen, die darüber entschieden. Im Mittelpunkt steht die langjährige Generalsekretärin und Sektionschefin Bernadett Humer. Beratend für Karmasin tätig: Der heutige Arbeitsminister Martin Kocher.

Die Links führen ins Leere. Wer sich heute im Internet informieren möchte, was das „Kompetenzzentrum Verhaltensökonomie“ namens Insight Austria an Neuigkeiten berichten kann, erhält eine Fehlermeldung. Wer wissen will, welche Personen dort werkeln, hat Pech: Die Seite gibt es nicht mehr. Die Website von Insight Austria wurde eingestampft, allerdings etwas schluderig. Nur wer die Startseite von Insight Austria ansurft, wird weitergeleitet: zur Webpräsenz des Instituts für Höhere Studien (IHS).

Das Kompetenzzentrum war eine Art Sondereinheit des IHS. Ausdruck davon war auch die eigene Webpräsenz. Geleitet wurde Insight Austria von der Ex-Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin – und vom früheren IHS-Chef und heutigen ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher. Dritter in diesem Bunde war Clemens Wallner, früher in leitender Funktion bei der Industriellenvereinigung (IV) und heute Präsident des zu rund einem Drittel von der IV finanzierten Wirtschaftsforschungsinstituts Eco Austria.

Karmasin ist nicht mehr bei Insight Austria, sie sitzt in U-Haft

Inzwischen ist Insight Austria eine von vielen Forschungsgruppen des IHS. Karmasin, Kocher und Wallner sind nicht mehr an Bord. Dass ihre alte Website vor allem aus toten Links besteht, ist vor allem für Karmasin wohl eines ihrer derzeit geringsten Probleme. Seit 2. März sitzt sie in Untersuchungshaft. Es bestehe Verdunkelungsgefahr, heißt es. Karmasin soll sich Aufträge von Ministerien gesichert haben, indem sie sich mit Sabine Beinschab und einer weiteren Kollegin absprach, Scheinangebote zu legen. Zahlungsflüsse sollen verschleiert worden sein. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt wegen des Verdachts der Geldwäsche.

Dazu kommt: Beinschab und Karmasin sind zwei Hauptfiguren in der Korruptionsaffäre um das System Sebastian Kurz. Der inzwischen Ex-Kanzler soll auch mithilfe manipulierter Umfragen und passender Berichterstattung in der Tageszeitung Österreich erst an die Spitze der ÖVP und dann ins Kanzleramt gekommen sein. Der damaligen ÖVP-Familienministerin Karmasin wird Untreue und Bestechung vorgeworfen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Affäre zwang Sebastian Kurz zum Rücktritt, auch Finanzminister Gernot Blümel trat ab.

Sophie Karmasin verlor ihre Aufträge bei Insight Austria. Im vergangenen Oktober beendete das Kompetenzzentrum die Zusammenarbeit. Eine Untersuchungskommission sollte sämtliche Arbeiten von Karmasin für Insight Austria prüfen, ein Abschlussbericht bis Ende 2021 vorliegen. Öffentlich einsehbar ist der bis heute nicht. Selbst Mitarbeiter:innen des IHS können MOMENT nicht sagen, wo der Bericht geblieben ist. Eine Anfrage an den Pressesprecher bleibt unbeantwortet.

Co-Autor von Karmasins Studien: Martin Kocher

Mit ihrer Firma Karmasin Research & Identity erhob Karmasin Daten für Studien des IHS und von Insight Austria. Hier sollten wissenschaftlich fundierte Lösungen erarbeitet werden, wie Menschen mit sanftem Druck dazu gebracht werden können, gesellschaftlich erwünschte Dinge zu tun – etwa Müll ordentlich entsorgen oder sich dazu entschließen, Solarzellen am Dach zu installieren. „Nudging“ heißt das im Englischen. Karmasin war auch selbst Autorin zahlreicher Studien. So etwa für eine Arbeit mit dem Titel: „The Mind Behaviour Gap: Warum wir wissen, was zu tun ist und uns systematisch anders verhalten.“ Zweiter Autor der Arbeit: Martin Kocher.

Karmasin dockte ziemlich genau ein halbes Jahr nachdem sie als Familienministerin aufhörte, bei Insight Austria an. Gleichzeitig gründete sie auch Research & Identity mit Sitz in Klosterneuburg. Der Weg dorthin wurde ihr aber bereits geebnet, als sie Familienministerin war. MOMENT berichtete darüber, wie Karmasin mithilfe des damaligen Generalsekretärs im Finanzministerium Thomas Schmid und Martin Kocher im IHS untergebracht wurde. Los ging das im Dezember 2016 mit einer SMS von Schmid: „Sophie im IHS Institut“ schrieb Thomas Schmid darin dem Kurz-Vertrauten Johannes Frischmann.

Die SMS und zahlreiche weitere E-Mails und Textnachrichten zu Insight Austria sind Teil eines WKStA-Analyseberichts. Der war Grundlage für die Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und bei der ÖVP Anfang Oktober 2021. Die deckten das System Kurz auf und brachten ihn zu Fall. Wie Insight Austria gegründet wurde, dem widmet die WKStA in ihrem Bericht sogar ein eigenes Kapitel. MOMENT deckte Ungereimtheiten in den Nachrichten auf, die sich Schmid, Karmasin und Kocher gegenseitig schickten.

Karmasin: Polit-Rückzug nachdem alles klar war für Insight Austria

Doch das ist nicht alles. Weitere Recherchen von MOMENT legen nahe: Karmasin schaffte sich mit Insight Austria während ihrer Zeit als Familienministerin praktisch selbst den Job, den sie nach ihrem Ausscheiden aus der Politik bekam: nämlich die Leitung des Kompetenzzentrums. Anfang August 2017 kündigte Karmasin in einem exklusiven Interview mit „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak an, sich nach der kommenden Nationalratswahl aus der Politik zurückzuziehen.

Was auffällt: Karmasin sagte das nur wenige Tage nachdem Martin Kocher ein euphorisches E-Mail schrieb. Am Abend des 26. Juli bedankte er sich darin bei Mitarbeitern des Finanzministeriums dafür, Insight Austria zu fördern. Die Zusage dafür hing lange in der Schwebe. Das Kompetenzzentrum war damit auf Schiene, für Karmasin also der richtige Zeitpunkt ihren Abschied aus der Politik zu verkünden?

Nicht nur das Finanzministerium war bei Insight Austria dabei. Auch Karmasins Ministerium selbst beförderte massiv und sehr früh, das Institut aus der Taufe zu heben. Schon im IHS-Jahresbericht des Jahres 2017 hieß es im Kapitel „Finanzielle Entwicklung“, es konnten „neue größere Projektpartner gewonnen werden, unter anderem das Familienministerium für Insight Austria“ (link zum pdf).

Martin Kocher beriet Karmasin und erhielt Geld dafür

Dabei beraten wurde das Ministerium unter anderem von IHS-Chef Martin Kocher, wofür dieser in den Jahren 2016 und 2017 auch Geld bekam. Das geht aus parlamentarischen Anfragebeantwortungen hervor. Eine Rechnung aus dem Jahr 2016 belief sich auf 700 Euro. Es ist ein geringer Betrag. Ein weiterer Auftrag zum Thema „Projektgruppe Verhaltensökonomie“ war zum Zeitpunkt der Beantwortung im September 2017 „noch nicht abgerechnet“.

Wie viel Kocher insgesamt dafür bekam, das Familienministerium beraten zu haben, ist auch heute nicht bekannt. Worin seine Leistung konkret bestand, ebenfalls nicht. Aus Karmasins Ministerium hieß es dazu nur allgemein: Berater:innen würden beauftragt, wenn „zu ganz spezifischen Themen spezialisiertes ExpertInnenwissen im Bundesministerium für Familien und Jugend nicht vorhanden ist.“

Im Mittelpunkt steht aber eine Personalie: Mit Bernadett Humer wurde eine enge Mitarbeiterin in Karmasins Kabinett Mitgründerin von Insight Austria. So steht es in einem E-Mail von Martin Kocher an Humer im Dezember 2017. Sie ist Teil des WKStA-Berichts zur Kurz-Affäre. Darin spricht er Humer und einen hochrangigen Beamten des Finanzministeriums als „die beiden Gründungsmitglieder von Insight Austria“ an.

Karmasin beförderte Vertraute – Beamte klagen Postenschacher an

Kocher bat die beiden – oder besser: forderte sie auf – den damaligen Koordinator der Industriellenvereinigung für Wirtschaftspolitik Clemens Wallner als stellvertretenden Leiter an Bord zu holen. Als Gegenleistung würde die IV insgesamt 105.000 Euro Förderung in Aussicht stellen. Wallner bekam den Job, MOMENT berichtete über das „unmoralische Angebot“. Ob das Geld floss, will die IV gegenüber MOMENT bis heute nicht verraten.

Humer, das geht aus dem Mail von Kocher hervor, hatte offenbar Entscheidungsgewalt darüber, ob Wallner stellvertretender Leiter von Insight Austria wurde. Entschied sie später auch darüber, ob ihre frühere Chefin im Familienministerium und Förderin Sophie Karmasin an Bord kommen sollte? Offiziell wurde Humer nie im Zusammenhang mit Insight Austria genannt. Einen umfangreichen Fragenkatalog zu ihrer Rolle bei Insight Austria und wie Karmasin an Bord geholt wurde, ließ Humer bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Die Fragen schickten wir auch an den früheren Pressesprecher des Familienministeriums, der jetzt stellvertretender Kabinettschef von Arbeitsminister Martin Kocher ist. Herbert Rupp sagt zu MOMENT, dass er weder zuständig sei noch in die Sache eingebunden war.

 
Bild zeigt E-Mail von Martin Kocher an Bernadett Humer, Vertraute von Sophie Karamsin.

E-Mail von Martin Kocher an die Karmasin-Vertraute Bernadett Humer. Sie wird als Mitgründerin von Insight Austria bezeichnet und soll entscheiden, ob Clemens Wallner stellvertretender Leiter wird. Entschied sie später auch darüber, ob ihre frühere Chefin an Bord geholt wird.

Humer selbst wurde nur wenige Monate vor den anstehenden Neuwahlen 2017 zur Sektionschefin im Familienministerium bestellt. Die damalige stellvertretende Kabinettschefin von Karmasin wurde so mit 35 Jahren Sektionschefin. Erzürnte Mitarbeiter:innen des Familienministeriums warfen Karmasin in einem Brief an Bundeskanzler Christian Kern und Bundespräsident Alexander Van der Bellen daraufhin Postenschacher vor. Die „Presse“ berichtete darüber.

Karmasins Personalien könnten vor U-Ausschuss landen

Hohe Beamt:innen bestätigen die Vorwürfe gegenüber MOMENT: „Zu fragen ist, ob die Qualifikation damals das entscheidende Kriterium war. Andere, die sich für qualifizierter hielten, wurden nicht berücksichtigt“, sagt eine Person, die nicht genannt werden will. Eine weitere berichtet: „Die Ausschreibung war so formuliert, dass sich Leute nicht beworben haben, die kompetent sind für den Job.“

Der Vorwurf des Postenschachers unter Ministerin Karmasin betrifft nicht nur die Beförderung von Bernadett Humer, sondern mindestens zwei weitere. Eine Beförderung sei verhindert worden, weil ein Personalvertreter sich so lange quergestellt habe, bis Karmasin nicht mehr Ministerin war. Wie MOMENT erfuhr, könnten die Personalrochaden von Karmasins Kabinettsmitarbeiter:innen kurz vor Ende ihrer Amtszeit auch Thema im aktuell laufenden ÖVP-Untersuchungsausschuss werden.

Es sei „eine bewährte schlechte Praxis, Versorgungsposten für Kabinettsmitarbeiter zu vergeben“, kommentiert es ein seit vielen Jahren im Ministerium tätiger Beamter.
Humer machte anschließend weiter Karriere. Bis zum Rücktritt von Christine Aschbacher als Arbeits- und Familienministerin Anfang 2021 war sie deren Generalsekretärin. Als Martin Kocher dann das Amt übernahm, kreuzten sich die Wege Humers und des frischgebackenen Arbeitsministers erneut.

Nun war er ihr Vorgesetzter. Doch nicht für lang. Das Ministerium wurde umgebaut. Kocher war danach ausschließlich für Arbeit zuständig, die Agenden von Familie und Jugend wanderten unter das Dach des Kanzleramtes. Bernadett Humer wanderte umgehend mit.

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