Wirtschaftskammer und Industrie verwässern, verhindern und verzögern Klimagesetze
Klimapolitik ist in Österreich das, was die Sozialpartner für möglich halten. Sie filtern aus, was ihnen nicht passt. Deshalb sei Österreichs Klimapolitik “ineffektiv”, schlussfolgert im Jahr 2014 eine Studie, die von den Politikwissenschaftlern Ulrich Brand und Adam Pawloff veröffentlicht worden ist.
Die Sozialpartner hätten lange Zeit den Klimawandel als politisches Thema einfach weggewischt. Kurzfristige wirtschaftliche Interessen sind wichtiger als langfristig die ökologischen Grundlagen zu sichern. Dabei drohen diese gerade wegzubrechen – mit teils verheerenden Folgen. Die mangelnden Taten gegen die Klimakrise kosten uns schon jetzt jedes Jahr Milliarden an Steuergeldern.
Seit der oben zitierten Studie sind zehn Jahre vergangen. Die Grünen sind erstmals in der Regierung – als Juniorpartner der ÖVP. Hat die Natur damit eine stärkere Lobby? Hat Klimaschutz in der Sozialpartnerschaft an Bedeutung gewonnen? Die Sozialpartner sagen: Ja. Neue Studien lassen daran aber zweifeln.
Österreich: Vom Umwelt-Vorreiter zum Opportunisten
Österreich hat sich seit dem EU-Beitritt 1995 vom umweltpolitischen Vorreiter zu einem Opportunisten verwandelt. Fortschrittliche Umweltpolitik war am ehesten in jenen Bereichen möglich, in denen kurzfristige wirtschaftliche Vorteile zu erwarten waren: mehr Wasserkraft, saubere Gewässer, Bio-Produkte als Nischenvermarktung. Kleine klimapolitische Fortschritte bis 2020 waren dagegen durchwegs auf EU-Vorgaben zurückzuführen, heißt es in einer Art IPCC-Bericht für Österreich, der den Forschungsstand zum Klimawandel zusammenfasst.
Darin wird die Sozialpartnerschaft als Blockierer kritisiert. Insbesondere die Wirtschaftskammer (WKO) und Industriellenvereinigung (IV) hätten “klimapolitische Fortschritte wiederholt abgeschwächt, verzögert oder gänzlich verhindert”. Die Wirtschaftskammer halte unverändert entschlossen am Zeitalter fossiler Energien fest. Klimapolitische Maßnahmen werden oft zu Unrecht als “wirtschaftsfeindlich” oder “Arbeitsplatzvernichtung” kritisiert.
Das entsprechende Kapitel wurde von Reinhard Steurer koordiniert. Er ist Professor für Klimapolitik an der BOKU Wien. Dort hat er 2023 auch eine Masterarbeit von Noe Hoffelt betreut. Sie hat massenweise Aussendungen von WKO und IV seit 2019 angesehen, und sie mit vier wichtigen Klimagesetzen verglichen. Das Urteil: Ein Großteil der Forderungen von WKO und IV fließen in die Gesetze ein. Sie würden Maßnahmen zum Klimaschutz wie kaum ein anderer Akteur verwässern, verzögern oder verhindern.
Untersucht wurden die Ökosoziale Steuerreform, die Novelle der Umweltverträglichkeitsprüfungen, das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz (mittlerweile als Erneuerbaren-Wärme-Paket verabschiedet) und das bis heute fehlende Klimaschutzgesetz. WKO und IV machen in zahlreichen Presseaussendungen keinen Hehl daraus, dass sie Klimagesetze beeinflussen. Sie feiern ihre Erfolge dementsprechend. So prahlte etwa WKO-Präsident Harald Mahrer die Ökosozialen Steuerreform: “Wir haben die Abschaffung des Dieselprivilegs wegverhandelt”.
Was fordern WKO und IV zu diesen Klimagesetzen?
Die Forderungen der Unternehmerseite durch IV und WKO lassen sich wie folgt in ihren eigenen Worte zusammenfassen: Wirtschaftsstandort schützen, technologieoffen bleiben, Hürden für Unternehmen verringern, Genehmigungsverfahren beschleunigen und unternehmensbezogene Steuern möglichst gering halten.
Bei der Ökosozialen Steuerreform wurden laut der Analyse alle sechs Hauptforderungen von WKO und IV erfüllt: etwa ein niedriger CO2-Preis und der Schutz des Wirtschaftsstandorts.
Bei der Novelle der Umweltverträglichkeits-Prüfung (UVP-Novelle) wurden fünf von acht Hauptforderungen erfüllt. WKO und IV hatten etwa eine kürzere Verfahrensdauer und weniger Hürden für Unternehmen gefordert. Das kann in manchen Fällen auch Vorteile für den Klimaschutz bringen, wenn etwa auch Erneuerbare Energien rascher ausgebaut werden können. Gleichzeitig wurden jedoch Rechte von NGOs und Bürgerinitiativen eingeschränkt.
Das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz ist mittlerweile in abgeschwächter Form als Erneuerbaren-Wärme-Paket verabschiedet worden. Gasheizungen im Bestand werden nicht angetastet. Die IV hatte sich das gewünscht, die ÖVP ließ nachverhandeln. Es gibt stattdessen mehr Fördergelder für den Umstieg.
Kein Klimaschutzgesetz – wie gewünscht
Auch beim Klimaschutzgesetz wurden alle Forderungen erfüllt. Denn dieses fehlt weiterhin. WKO und IV wollen, dass weder die Klimaneutralität bis 2040 (darauf haben sich ÖVP und Grüne im Regierungsprogramm geeinigt) noch ein klarer Pfad für die Verringerung von Treibhausgasen festgeschrieben wird. Und das ist der derzeitige Stand. Dabei würden auch Unternehmen von Planungssicherheit für langfristige Investitionen profitieren, wie Reinhard Steurer von der BOKU Wien betont.
Kommt das Klimaschutzgesetz überhaupt noch vor den nächsten Nationalratswahlen? “Wenn es nach uns Grünen geht, könnten wir das Gesetz nächste Woche beschließen”, sagt Lukas Hammer, Klimasprecher der Grünen. Dafür bräuchte es eine Mehrheit im Parlament – aber eben diese fehlt: “Insbesondere die vom ÖVP-Wirtschaftsbund dominierte Wirtschaftskammer bzw. deren Vertreter:innen im Parlament haben einen Beschluss des Gesetzes bisher verhindert”, erklärt Hammer auf Anfrage von MOMENT.at. Wir wollten auch von der ÖVP wissen, was sie zu diesen Vorgängen und zum Klimaschutzgesetz sagt. Trotz mehrerer Fristen und Zusagen kam von ÖVP-Umweltsprecher Johannes Schmuckenschlager allerdings nie eine Antwort.
Warum sind WKO und IV in Klimafragen so einflussreich?
Das haben wir Reinhard Steurer und Adam Pawloff gefragt. Beide beschäftigen sich mit dem Einfluss der Sozialpartnerschaft auf Klimapolitik; Steurer an der BOKU Wien, Pawloff früher ebenfalls dort und mittlerweile als Programmdirektor bei Greenpeace Österreich.
Solange die ÖVP mitregiere, habe die WKO Zugriff auf die Klimapolitik, sagt Steurer: “Die ÖVP ist quasi eine Personalunion mit der Wirtschaftskammer, denn diese wird vom ÖVP-Wirtschaftsbund dominiert”. Dieser hat bei den letzten WKO-Wahlen 69,6 Prozent der Stimmen bekommen. Deshalb sei die Position der ÖVP oft die der WKO.
Die jahrzehntelange Regierungsbeteiligung der ÖVP hat auch zu vielen personellen Verflechtungen geführt: IV-Präsident Georg Knill begleitete den damaligen ÖVP-Bundeskanzler Alexander Schallenberg auf die Weltklimakonferenz COP26. Die EU-Abgeordnete der ÖVP, Barbara Thaler, veröffentlichte gemeinsam mit der WKO mehrere Presseaussendungen. Die IV tat dasselbe mit dem ÖVP-Staatssekretär für Klimaschutz, Magnus Brunner, auch zum Klimaschutzgesetz. Brunner war früher beim ÖVP-Wirtschaftsbund, hat also ebenfalls WKO-Vergangenheit. Und WKO Generalsekretär Karlheinz Kopf ist zugleich ÖVP-Parteimitglied im Nationalrat und war Klubobmann des ÖVP-Parlamentsklubs.
Auch der Zugang zu Informationen sei ungleich verteilt, wie Lukas Hammer von den Grünen kritisiert: “In den Ständigen Vertretungen Österreichs bei der EU sitzen Mitarbeitende der Sozialpartner und haben so Zugang zu den meisten Dokumenten und Informationen.” Umwelt-NGOs dagegen nicht. Diese hätten auch weniger Budget als AK, Landwirtschaftskammer (LKÖ), IV und WKÖ, da diese durch die Pflichtmitgliedschaft jährlich hunderte Millionen Euro erhalten.
Klimaschädlicher Lobbyismus mit System
Mit dem ThinkTank Oecolution würden WKO und IV zudem eine “Fake-NGO” für Klima- und Umweltthemen betreiben, wie Greenpeace kritisiert. Diese sei zu zwei Drittel von der WKO und zu einem Drittel von der IV finanziert und propagiere fast ausschließlich “technologische Lösungen” wie etwa E-Fuels für PKWs. Hier schließt sich der Kreis, denn für E-Fuels lobbyiert vor allem die efuel-Alliance. Deren Vorstandsvorsitzender ist Jürgen Roth – früherer Vizepräsident der WKO und Heizöl-Unternehmer. Geschäftsführer der efuel-Alliance ist wiederum Stephan Schwarzer, der bis 2021 jahrzehntelang die Umweltpolitik der WKO geprägt hat. (Mehr über Lobbyismus für E-Fuels erfährst du in diesem Artikel.)
Ein weiterer Klima-Fauxpas der WKO war der Gastvortrag des Klimakrisen-Verleugners Bernhard Strehl an der WKO Kärnten. Ein Skandal für einen Sozialpartner, wie Reinhard Steurer kritisiert. MOMENT.at hat dazu vor einiger Zeit berichtet und wartet immer noch auf eine Stellungnahme der WKO.
Wie positionieren sich AK und ÖGB in Klimafragen?
Und wie steht es um die andere Seite der Sozialpartnerschaft: die Vertretung der Arbeitnehmer:innen? Arbeiterkammer (AK) und die Gewerkschaften (ÖGB) haben sich in Klimafragen weiterentwickelt, sind sich Pawloff und Steurer einig – ähnlich wie die SPÖ. In der AK gibt es etwa eine eigene Abteilung für Klima- und Umweltfragen, ebenso beim ÖGB. Zudem fordert die AK ein Klimaschutzgesetz. Doch solange die SPÖ nicht mitregiert, sei der Einfluss von AK und ÖGB deutlich geringer als jener von WKO und IV, sagt Steurer.
Steurer vermutet zudem, dass eine Ökologisierung der Pendlerpauschale mit der AK schwieriger zu verhandeln sei als mit der WKO. AK-Abteilungsleiter für Steuerpolitik, Pascal Schraml, erklärt dazu auf Anfrage, dass die AK im Mai 2023 eine Reform vorgeschlagen hatte, diese von der Regierung aber nicht berücksichtigt worden sei. Die darin vorgeschlagene Ökologisierung ist für Steurer allerdings einseitig und ineffizient, da klimafreundliches Pendeln nur mit einem zusätzlichen Ökobonus angeregt werden soll, während die Pendlerpauschale als fossile Subvention bestehen bleiben würde. Nötig wäre eine umfassendere Ökologisierung durch die auch fossile Subventionen abgebaut würden.
Lukas Hammer von den Grünen kritisiert, dass die AK gemeinsam mit der WKO beim Erneuerbaren-Wärme-Gesetz blockiert habe, weil ein Interessenausgleich nicht möglich oder nicht gewollt war. Christa Schlager, AK-Abteilungsleiterin für Wirtschaftspolitik, bezeichnet den Vorwurf einer Blockade als haltlos, da die AK nicht im Nationalrat sitze. Die AK unterstütze das Gesetz und hatte hier auf weitere wohnrechtliche Bestimmungen gedrängt. Diese waren im Gesetzespaket aber nicht enthalten, so Schlager. 2006 hatte die AK allerdings noch gemeinsam mit WKO und IV in der “Allianz der Zahler” beim Ökostromgesetz blockiert. Dadurch stagnierte der Ausbau Erneuerbarer Energien mehrere Jahre lang, wie die bereits zitierte Studie von Brand und Pawloff zeigt.
Könnte man die Sozialpartnerschaft reformieren?
Für Reinhard Steurer bleibt die Sozialpartnerschaft trotz aller Kritik ein wichtiger Hebel. Er verweist auf den APCC-Bericht, in dem er das entsprechende Kapitel koordiniert hat. Dort wird eine Umweltkammer als zusätzlicher Sozialpartner vorgeschlagen – ähnlich wie das nun von den Grünen gefordert wird. Diese Rolle könnte Steurer zufolge etwa der Umweltdachverband einnehmen. Zudem müsse der gesetzliche Auftrag der Sozialpartnerschaft so reformiert werden, dass kein Lobbying gegen klimapolitische Maßnahmen mehr möglich wäre. Im Parlament braucht das aber eine Zweidrittelmehrheit, erklärt Hammer.
Adam Pawloff ist dagegen unsicher, ob die Sozialpartnerschaft auf Klima- und Umweltfragen eine Antwort hat. Die SPÖ und insbesondere die ÖVP hätten aufgrund der personellen Verflechtungen eine große informelle Macht. Er schlägt eine stärkere Demokratisierung der Wirtschaftskammer vor. Eine Umweltkammer hätte vermutlich wenig Einfluss, solange die Grünen bei rund zehn Prozent stagnieren.
Was sagen die Sozialpartner selbst dazu?
Die Wirtschaftskammer (WKO) hat bis Redaktionsschluss nicht auf unsere Anfrage geantwortet.
Die Landwirtschaftskammer (LKÖ) verweist auf eine Balance aus Umwelt, Wirtschaft und Sozialem. Eine Umweltkammer als zusätzlichen Sozialpartner hält sie aber nicht für zielführend. Die Sozialpartnerschaft würd bereits alle Berufstätigen vertreten und dadurch auch den Klimawandel entsprechend berücksichtigen. Die zitierten Studien belegen allerdings das Gegenteil: Klimagesetze wurden wiederholt verwässert, verzögert oder verhindert.
Die Industriellenvereinigung (IV) verweist darauf, dass die österreichische Industrie allen gesetzlich beschlossenen Klimazielen verpflichtet ist und diese seit Jahren konsequent umsetzt. Unbeantwortet bleibt die Kritik, dass sie eben diese Ziele und Gesetze gemeinsam mit der WKO abgeschwächt hat.
Die Gewerkschaften (ÖGB) sehen in einem Klimaschutzgesetz einen wichtigen Beitrag zur Planungssicherheit. Entgegen der zitierten Studien sieht der ÖGB keinen großen Einfluss der Sozialpartner auf die Gesetzgebung. Man habe sich in Klimafragen allerdings neu positioniert, Statuten verändert und ein eigenes ÖGB-Klimabüro eingerichtet. Ob es einen zusätzlichen Sozialpartner für Umwelt- und Klimafragen brauche, bleibt unbeantwortet.
Die Arbeiterkammer (AK) hat zur Klimaneutralität 2040 für Österreich keine klare Position, sieht im bisher fehlenden Klimaschutzgesetz aber ein wichtiges Instrument, erklärt Lukas Oberndorfer, AK-Abteilungsleiter für Klima und Umwelt. Zumindest theoretisch würde die Sozialpartnerschaft aufgrund von Klimakrise und Artensterben an Bedeutung gewinnen. Eine Umweltkammer als zusätzlichen Sozialpartner lehnt die AK aber ebenfalls ab.