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Demokratie

Wirtschaftskammerwahl: Wenn Wahlfälscher:innen zur Wahl stehen

Wirtschaftskammerwahl: Wenn Wahlfälscher:innen zur Wahl stehen
Bei der Wirtschaftskammerwahl 2025 stehen Kandidat:innen zur Wahl, denen Wahlfälschung nachgewiesen wurde. // Foto: Arnaud Jaegers/Unspalsh
Bei der Wirtschaftskammerwahl im Burgenland stehen kommende Woche zwei Personen zur Wahl, denen bei der Wahl 2020 Wahlfälschung nachgewiesen wurde. Beide wurden vom ÖVP-Wirtschaftsbund nominiert. Äußern will sich dazu niemand. Pikant: ÖVP-Wirtschaftsbund, Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband und Freiheitliche Wirtschaft treten auf einer gemeinsamen Liste an. Dort will man von alldem nichts gewusst haben.

Das Vorwurf ist hart: Was bei der Wirtschaftskammerwahl 2020 im Burgenland passiert ist, sei “ein rechtliches und ethisches Totalversagen der Wahlkommission”. Den Vorwurf erhebt die Fraktion der Grünen Wirtschaft in der Wirtschaftskammer. Er steht in einem Bescheid vom Dezember 2024. Ausgestellt wurde er von der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Burgenland. In dem Dokument, das MOMENT.at vorliegt, erklärt die Hauptwahlkommission die Wahl für ungültig – viereinhalb Jahre nachdem sie stattfand.

Funktionär:innen fälschten WK-Wahl – und treten wieder an

Auf 26 Seiten fasst der Bescheid zusammen, wie bei der Wahl für die Fachgruppe Personenberatung und Personenbetreuung mehrere Funktionär:innen Wahlfälschung begangen haben. Sie trugen selbst Vorzugsstimmen für ihre eigene Kandidatur in Wahlkarten ein oder ließen diese anbringen. 

Es waren Wahlkarten für 24-Stunden-Betreuer:innen, die bei Agenturen unter Vertrag stehen. Diese vermitteln sie an Haushalte, in denen pflegebedürftige Menschen leben. Die Betreuer:innen sind formal selbständige Unternehmer:innen und Mitglieder der Wirtschaftskammer. In der Praxis sind die meisten von ihnen völlig abhängig von den Agenturen, bei denen sie unter Vertrag stehen. Das geht soweit, dass sie ihren Agenturen Postvollmachten erteilen. Wahlkarten werden häufig nicht an die Betreuer:innen persönlich verschickt, sondern an ihre Agenturen. All das schafft ein großes Einfallstor für Betrug.  

Bereits am Wahltag fiel Anja Haider-Wallner von der Wählergruppe Grüne Wirtschaft auf, dass mit den Stimmzetteln etwas nicht stimmte. Zahlreiche Unterschriften auf den Wahlkarten ähnelten sich allzu sehr. Am 11. März 2020 legte die Grüne Wirtschaft Einspruch gegen das Wahlergebnis ein. Einen Tag später langte der Einspruch bei der Wirtschaftskammer ein und blieb dort lange liegen. Haider-Wallner erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft: Die tat etwas und leitete 12 Strafverfahren ein. 

Dabei ging es unter anderem gegen die damals an Listenplatz zwei gereihte Anita Szojak. Die Betreiberin einer Vermittlungsagentur für 24-Stunden-Betreuer:innen in Olbendorf erhielt 268 Vorzugsstimmen. Nach der Wahl war sie stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss der Fachgruppe. Ermittelt wurde auch gegen zahlreiche Mitarbeiter:innen ihrer Agentur. Das Verfahren wegen Wahlfälschung gegen Szojak wurde eingestellt. 

WKO-Funktionärin wegen schweren Betrugs verurteilt

Jedoch nicht, weil Szojak keine Wahlfälschung nachgewiesen wurde. Sondern weil im Laufe der Ermittlungen herauskam: Szojak kassierte  von 116 Familien pflegebedürftiger Personen über mehrere Jahre zu hohe Sozialversicherungsbeiträge für ihre 24-Stunden-Betreuer:innen ein – und behielt sich die Differenz. Der Schaden betrug fast 75.000 Euro. Im Sommer 2023 wurden Szojak und ihr Mann wegen schweren Betrugs zu 10 Monaten bedingter Haft verurteilt. Diese Strafe war deutlich höher als das zu erwartende Urteil im Verfahren wegen Wahlfälschung.

Wegen Wahlfälschung verurteilt wurde Norbert Otto Aichhorn. Er betreibt eine Personenbetreuungsagentur in Neusiedl am See. Er gab zu, in zumindest zehn Fällen Wahlkartenvorzugsstimmen zu seinen Gunsten angebracht zu haben. Zudem stiftete er seine Frau dazu an, das auch zu tun. Das Bezirksgericht Neusiedl verurteilte ihn im September 2021 wegen Wahlfälschung. Die Strafe: 180 Tagessätze à 20 Euro, insgesamt 3.600 Euro.

Was beide verbindet: Der verurteilte Wahlfälscher und die verurteilte Sozialbetrügerin stehen bei der Wirtschaftskammerwahl 2025 am 11. und 13. März erneut zur Wahl. Im Jahr 2020 wurden beide vom ÖVP-Wirtschaftsbund nominiert. Nun scheinen ihre Namen auf einem gemeinsamen Wahlvorschlag von Wirtschaftsbund, dem Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband (SWV) und der Freiheitlichen Wirtschaft (FW) auf. Es klingt wie ein schlechter Witz: Aichhorn und Szojak verloren ihre Funktionen im Fachgruppen-Ausschuss, nachdem sie verurteilt worden waren – und nun stehen sie erneut zur Wahl.

Wahlvorschlag sorgt für Schock und Entrüstung

Der Betreiber einer Agentur für die Vermittlung von 24-Stunden-Betreuer:innen ist entrüstet: “Wissen die alle miteinander nicht, was Betrug ist? Wenn sie das tolerieren, tolerieren sie Betrug an den Mitgliedern der Wirtschaftskammer”, sagt er, möchte aber nicht namentlich genannt werden. 

Wie es kommt, dass Aichhorn 2025 erneut antritt, als hätte es die Wahlfälschung nie gegeben, wegen der er verurteilt wurde und wegen der die Wirtschaftskammer die vergangene Wahl für ungültig erklärte? Aichhorn gibt sich kurz angebunden. “Dazu gebe ich keine Auskunft”, sagt er am Telefon zu MOMENT.at. “Das ist nicht meine Wahl, sondern die der Wirtschaftskammer. Wenden Sie sich an die Wahlkommission”, richtet er aus und legt auf.

Aichhorn ist auf Platz 10 gereiht und wird wohl eines der 21 Ausschussmandate erhalten. Als Gegenangebot der “Gemeinsamen Liste der burgenländischen Personenberatung und Personenbetreuung” treten nur drei Kandidat:innen der Grünen Wirtschaft an.  

“Bei uns waren alle schockiert, dass das geht”, sagt deren Regionalsprecher Roland Siedl zu MOMENT.at. Aber ja: Strafen von 180 Tagessätzen und 10 Monaten bedingter Haft sind gering genug, um dennnoch zur Wirtschaftskammerwahl antreten zu dürfen. Doch es gibt ja noch mehr als das reine Recht und Paragrafen. Aichhorn und Szojak wieder zu nominieren, “war eine rückgratlose, moralisch tiefe Aktion”, sagt Siedl. Wirtschaftsbund, Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband und Freiheitliche Wirtschaft erklärten sich damit einverstanden, “dass verurteilte Wahlbetrüger und Sozialbetrüger zur Wahl stehen”. 

Kandidat:innen, Wirtschaftsbund und WKO blocken

Die frühere Obmann-Stellvertreterin im Fachgruppenausschuss Anita Szojak findet sich diesmal nur auf Listenplatz 30 wieder. Sie müsste sehr viele Vorzugsstimmen erhalten, um es erneut in den Ausschuss zu schaffen. Warum sie sich überhaupt zur Wahl stellt? MOMENT.at ruft sie an. Auch Szojak möchte nicht darüber reden. “Warum ich aufgestellt wurde, dazu kann ich keinen Kommentar abgeben”, sagt sie. 

Sie verweist auf ihren Platz weit hinten auf der Liste der Wahlvorschläge und fügt an: “Ich will damit nichts mehr zu tun haben”, sagt sie. Das wäre theoretisch recht einfach: Sie müsste sich nicht zur Wahl aufstellen lassen. Warum sie dennoch ihrer Nominierung zustimmte, beantwortet sie nicht. Szojak sagt, man solle sich doch an den Fachgruppen-Obmann wenden und beendet das Gespräch.

Der heißt Harald Andreas Zumpf. Er ist wie 2020 auch bei der heurigen Wahl auf Listenplatz 1 gereiht und ist Funktionär beim Wirtschaftsbund Burgenland. Er könnte wissen, warum der Wirtschaftsbund Aichhorn und Szojak für die Wahl des Ausschusses der Fachgruppe vorgeschlagen hat, deren Obmann er ist. Doch: “Wenden Sie sich an die Kommunikationsabteilung des Wirtschaftsbundes”, sagt er am Telefon zu MOMENT.at. Die sei da der bessere Ansprechpartner, behauptet er und fragt: “Haben Sie die Kontaktdaten?” Als ein Nein zur Antwort kommt, sagt Zumpf: “Dann googlen Sie sie!”

Die Zahl an Telefonaten, die kurz ausfallen und unfreundlich enden, wenn Fragen zu den Wahlvorschlägen des Wirtschaftsbundes bei der Wirtschaftskammerwahl 2025 im Burgenland gestellt werden, ist auffallend hoch. MOMENT.at schickt die für Zumpf bestimmten Fragen daraufhin an die Presseabteilung des Wirtschaftsbundes. Bis Redaktionsschluss erhielten wir keine Antwort.

Genauso verhält es sich mit den Fragen, die MOMENT.at an die Wirtschaftskammer des Burgenlandes sendete. Wir wollten von der Kammer wissen, warum sich die beiden verurteilten ehemaligen Funktionär:innen bei dieser Wahl erneut aufstellen ließen und ob Kammer-Funktionär:innen darauf Einfluss genommen haben. MOMENT.at fragte auch, warum es so lange dauerte, bis die Wahl 2020 für ungültig erklärt worden war.

Es sind Fragen, die der Leiter der Geschäftsstelle der Hauptwahlkommission Hans-Christian Karall wohl beantworten könnte. MOMENT.at ruft ihn an. Er blockt ab und verweist am Telefon ebenfalls an die Kommunikationsabteilung. Auch an die schickt MOMENT.at Fragen und erhält bis Redaktionsschluss keine Antwort. Karall sagt nur eines: “Wir sind nicht zuständig für die Wahlvorschläge.”

Sozialdemokraten wollen von nichts gewusst haben

Den Wahlvorschlägen zugestimmt hat jedenfalls der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband Burgenland. Denn ihre Kandidat:innen treten in einer gemeinsamen Liste mit dem Wirtschaftsbund zur Wahl an. MOMENT.at ruft deren Präsidenten Gerald Schwentenwein an. Wir möchten wissen, wie es kommt, dass auf der vom SWV abgesegneten Liste Kandidat:innen stehen, denen Wahlfälschung nachgewiesen wurde. Schwentenwein erklärt es so: “Ich habe keinen Einfluss auf die Wahlvorschläge des Wirtschaftsbundes. Jede Fraktion hat ihre eigenen Vorschläge eingebracht.” 

Danach hat beim SWV scheinbar niemand geschaut, wer da alles zur Wahl steht. Oder besser und kaum zu fassen: Bis zum SWV hat es sich offenbar noch nicht herumgesprochen, dass es zu Urteilen wegen Wahlfälschung kam. “Ich weiß nichts von diesen Wahlfälschungen. Aber wenn es stimmt, dann ist das schwierig und wir haben ein Problem”, sagt Schwentenwein. “Dann muss ich das Gespräch mit dem Wirtschaftsbund suchen”, kündigt er an.

Dabei musste sich auch der SWV mit Wahlfälschungen befassen: Bei der Wahl 2020 begingen auch zwei Betreiber:innen von Agenturen für die Vermittlung von 24-Stunden-Betreuer:innen Wahlfälschung, die weit oben auf der Liste des SWV standen. Die Verfahren endeten mit Diversionen und Geldbußen. Bei der Wahl 2025 stehen sie nicht mehr zur Wahl. Im Bericht der Hauptwahlkommission werden auch die Verfahren gegen die ehemaligen SWV-Funktionär:innen erwähnt. Diesen Bericht könnte man also durchaus kennen.

Doch weit gefehlt: MOMENT.at kontaktiert Christoph Mezgolits. “Ich kenne den Bericht nicht”, sagt er. Mezgolits ist Kontrollobmann Stellvertreter beim SWV im Burgenland. Und wichtiger noch: Er ist stellvertretender Obmann im Ausschuss der Fachgruppe Personenberatung und Personenbetreuung der Wirtschaftskammer. Im Wahlvorschlag der Gemeinsamen Liste für die Wirtschaftskammerwahl 2025 steht er hinter Zumpf auf Platz 2. Er weiß zumindest von der Wahlfälschung: “Ich habe kritisiert, dass es grundsätzlich nicht in Ordnung ist, wenn verurteilte Wahlfälscher zur Wahl stehen”, sagt er zu MOMENT.at. 

Aber: Von dem Bescheid der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer, in dem genau das bestätigt wird, weiß der Wirtschaftskammer-Funktionär scheinbar nichts. Er bittet MOMENT.at, ihm den Bericht zuzusenden und gibt dann seine E-Mail-Adresse durch.

*Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels wurde geschrieben, die Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Burgenland selbst habe „ein rechtliches und ethisches Totalversagen der Wahlkommission“ festgestellt. Tatsächlich hat die Fraktion der Grünen Wirtschaft diesen Vorwurf erhoben. Er ist Teil des Bescheides, in dem die Hauptwahlkommission die Wirtschaftskammerwahl 2020 aufgrund der nachgewiesenen Wahlfälschung für ungültig erkklärt hat.

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    Kommentare 2 Kommentare
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  • Schneeeule hedwig
    09.03.2025
    Mein liebes momentum-team! Ehre wem ehre gebuehrt. Lob wem lob gebuehrt. Das ist transparenz, die einer fortschrittlichen demokratie wuerdig ist. Weiter so! Alles liebe
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  • Helmo Pape
    06.03.2025
    Sauber recherchiert die Kämmerer ihrer Unmündigkeit überführt. Ein einfaches Gemüt könnte sagen: Bringt doch eh nichts darüber zu schreiben, das war schon immer so. Ich hingegen meine, dass eine gut informierte Öffentlichkeit sehr wohl die Verhältnisse verbessert. Niemand möchte über sich lesen, dass er oder sie dumm, leichtsinnig, korrupt oder mit derlei in Kontakt sei. Daher: Mehr davon liebes Moment Magazin und dabei selbst sauber bleiben. Danke für die Investigativarbeit.
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