Wutbauer ist nicht einziger verschuldeter Landwirt: “Das System ist komplett krank”
Wutbauer ist nur einer von vielen verschuldeten LandwirtInnen
Christian Bachler hatte Glück. Nachdem er Falter-Chefredakteur Florian Klenk kritisiert und zur Mitarbeit auf seinem Hof eingeladen hatte, verhalf ihm dieser zu jener öffentlichen Aufmerksamkeit, die ihm so viele Spenden brachte. Doch das Schicksal des Wutbauern ist kein Einzelfall.
Viele landwirtschaftliche Betriebe haben mit massiven Schulden zu kämpfen – und werden nicht von großzügigen SpenderInnen gerettet. Eine Gruppe von Bauern und Bäuerinnen, die gerne als „Milch-RebellInnen“ bezeichnet wird, weist seit über einem Jahrzehnt auf die strukturellen Probleme hin. “Ich schätze, dass zwei Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe schwer verschuldet sind und quasi der Bank gehören. Das liegt nicht daran, dass viele nicht wirtschaften können, sondern das gesamte Agrarsystem ist krank,” erklärt Ewald Grünzweil, Obmann der Interessensgemeinschaft Milch – so der offizielle Name der “Milch-RebellInnen”.
Großer Bauer frisst kleinen Bauern
Das Hauptproblem der Landwirte in einem Satz zusammengefasst lautet: Großer Bauer frisst kleinen Bauern. Seit 2003 sind die Förderungen für Landwirte an die Flächengrößen gebunden. Viele kleine Bäuerinnen und Bauern geben seither auf und verpachten ihre landwirtschaftlichen Flächen an jene, die bei diesem Wettbewerb mitspielen und auf Wachstum setzen.
Doch wer seinen Betrieb ausbauen will, braucht Kapital – und dieses wird dann häufig in Form eines Kredites aufgenommen – traditionell bei der Raiffeisenbank. Im schwarzen Giebelkreuz auf gelbem Grund sehen viele Bäuerinnen und Bauern einen “Freund und Helfer”, wie der Milchbauer Franz Rohrmoser meint. Denn neben dem klassischen Bankgeschäft bietet die Raiffeisen-Gruppe mit der Lagerhaus-Kette auch viele Produkte für den landwirtschaftlichen Betrieb an.
Raiffeisenbank: Wirklich der “Freund und Helfer” vieler Bauern?
Doch viele übersehen dabei, dass der Raiffeisen-Konzern am Ende des Tages ein Unternehmen ist, dass nach Gewinn strebt und natürlich auch mit seinen Finanzprodukten Geld machen will – und das nicht immer mit den besten Absichten für die KundInnen. Dem Wutbauern Christian Bachler wurde etwa ein Fremdwährungskredit eingeredet, der sich für viele am Ende des Tages als existenzbedrohenden Reinfall herausstellte.
Rohrmoser fasst es so zusammen: “Der Raiffeisenkonzern hat ein wirtschaftliches Interesse an einer Agrarpolitik der Intensivierung, weil dies mit viel Investition verbunden ist und das sein Geschäft ist. Für die Bauern wäre jedoch ein nachhaltiger Kurs, der klimagerecht und ökosozial ist, viel Existenz-sichernder.” Doch auch die Landwirtschaftskammern würden ihren Mitgliedern einreden, auf Vergrößerung und Ausbau zu setzen. Und viele würden diesem Aufruf eben folgen.
Beispiel Milchwirtschaft: Immer mehr Milch für wenig Geld
Am Beispiel der Milchwirtschaft wird schnell sichtbar, wohin es führt, wenn Wachstum und Gewinnoptimierung aus dem Ruder laufen: Jährlich wird mehr und mehr Milch produziert, was den Milchpreis komplett ruiniert hat.
Die “Milch-RebellInnen” haben bereits 2006 versucht, eine eigene Milchmarke namens “A faire Milch” zu etablieren, für die Bäuerinnen und Bauern einen fairen Milchpreis erhalten sollten. Doch das ambitionierte Projekt scheiterte schließlich am Monopol der Molkereien, da Milchbauern eben davon abhängen, dass ihre Rohmilch rasch abgenommen und verarbeitet wird.
Landwirte könnten ohne Förderungen nicht überleben
Auch Obst-, Gemüse und Mastbetriebe können in der Regel nicht vom Verkauf ihrer Produkte leben. Das durchschnittliche bäuerliche Einkommen setzt sich zu zwei Dritteln aus Fördergeldern zusammen.70 Prozent der gesamten EU-Mittel, die Österreich erhält, gehen in die Landwirtschaft. Das Agrarbudget beträgt insgesamt 1,9 Milliarden Euro.
Steuerzuckerl für Landwirte – aber nur die Großen!
Neben den Förderungen profitieren viele LandwirtInnen von Steuer-Pauschalen. Das findet der Steuerberater Gottfried Schellmann unfair: “Jedes andere Unternehmen muss eine genaue Bilanz abgeben, warum die Bauern nicht?” In einer Studie aus dem Jahr 2011 berechnete Schellmann gemeinsam mit dem Steuerrechts-Uniprofessor Georg Kofler, dass durch die Pauschalen Betriebe, die ein Jahreseinkommen von rund 50.000 Euro haben, kaum Steuern bezahlen. Rund 170.000 Betriebe mussten damals maximal 260 Euro pro Hof und Jahr berappen. Insgesamt seien 2011 dem Staat 300 bis 400 Millionen Euro an Steuern entgangen.
Schellmann zog sogar vor das Verfassungsgericht und die Privilegien wurden teilweise verkleinert. Doch heuer hat Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) manche Beschränkungen wieder zurückgenommen. Steuerpauschalen waren bislang nur auf kleinere Betriebe beschränkt. Doch nun fielen gewisse Einschränkungen weg.
Als einzige “Schranke” gilt nur noch, dass der sogenannte Einheitswert von 75.000 Euro nicht überschritten werden darf. Dieser Wert wird in der Landwirtschaft verwendet, um zu berechnen, wie viel Gewinn ein landwirtschaftlicher Betrieb pro Hektar abwirft. Dabei werden viele Faktoren, wie die Qualität des Bodens und andere Werte berücksichtigt. Doch dieser Wert wird sehr selten erhoben – und hat daher oft nichts mit dem wahren Ertrag eines landwirtschaftlichen Betriebs zu tun. Als Grenze für eine steuerliche Vollpauschalierung ist er fragwürdig.
Schellmann fasst zusammen: „Das Aufheben dieser Einschränkungen hat nur bewirkt, dass bestimmte, größere Betriebe weitere steuerliche Erleichterungen haben.“
Immer mehr Bauern geben auf
Warum geben aber immer mehr Landwirte auf – trotz der üppigen Förderungen und Steuerzuckerl? Konkret 19.000 Betriebe seit dem Jahr 2012.
Ewald Grünzweil ist einer von ihnen. Der ehemalige Milchbauer hält nun nur noch einige Masttiere, sein Einkommen bestreitet er nun vor allem mit Nebentätigkeiten. “Wer will sich das noch antun? Milchbauern haben kein Wochenende, sind rund um die Uhr in Bereitschaft, denn es kann immer ein Tier krank werden oder was passieren. Die Arbeit ist anstrengend und oft gefährlich – und vom Milchpreis selbst kann sowieso niemand überleben,” so Grünzweil, der überzeugt ist, das viele landwirtschaftlichen Betriebe nach rein betriebswirtschaftlichen Maßstäben schon längst zusperren hätten müssen.
Grünzweil ist überzeugt: “Viele Familienbetriebe kämpfen weiter, meist arbeiten die Großeltern und Altbauern noch kostenlos mit, bis sie tot umfallen, da es anders gar nicht ginge.”
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