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Arbeitswelt
Kapitalismus

Absurde Forderung nach 41-Stunden-Woche: Warum die Industrie dich länger arbeiten lassen möchte

Die Industrie fordert eine 41-Stunden-Woche
Von Industrie- und Wirtschaftsvertreter:innen kommt alle paar Monate ein Vorschlag, der so abstrus ist, dass nicht klar ist, ob man lachen oder weinen soll. Derzeit: Die 41-Stunden-Woche - unterstützt von der ÖVP. Natascha Strobl analysiert.

Die Industriellenvereinigung reitet wieder einmal ins große Jammertal aus: Junge Menschen seien viel zu anspruchsvoll und würden gar nichts mehr leisten wollen, zumindest nicht über “die Norm”. Die Lösung: Man muss sie dazu zwingen. Aus Sicht der Industriellenvereinigung soll eine 41-Stunden-Woche her. Ohne Lohnausgleich. Und die ÖVP in Form von Karoline Edtstadler eilt ihnen sofort zur Seite.

Klar, wenn es einem (gefühlt) schlecht geht, sollen das bitteschön andere in Ordnung bringen. Industrie und Wirtschaft müssen selbstverständlich nichts ändern, nur die Arbeitnehmer:innen sollen schlechter gestellt werden. Das ist fair, schließlich obliegt den IV-Mitgliedern die schwere Aufgabe, diese verzogenen Bengel (aka Arbeitnehmer:innen) zu managen. Manche haben es wahrlich nicht leicht.

41-Stunden-Woche: Der Verteilungskampf von Oben

Eine 41. Wochenstunde ohne Lohnausgleich ist Lohnraub. Es würde bedeuten, dass mit einem Schlag das eigene Gehalt pro Stunde sinkt. Gleichzeitig hat man weniger Zeit für Familie, Care-Arbeit, Freund:innen, Hobbys und Erholung. Ein sehr „verlockendes“ Angebot, oder?

Das alles wird unter die Überschrift gestellt, dass alle nun anpacken müssen – damit es “der Wirtschaft” besser geht. Mit „alle“ sind aber eben nur Arbeitnehmer:innen gemeint. Das ist Klassenkampf von oben. Für die eigene Rendite sollen andere noch mehr ausgebeutet werden. 

Schon heute: Milliardenschaden durch Lohnraub

Eine Stunde klingt nicht viel – fast machbar. Die Wirklichkeit ist aber eine andere. Die Arbeitnehmer:innen arbeiten schon jetzt mehr, als wozu sie vertraglich verpflichtet sind. Sie leisten heute fast 200 Millionen Überstunden im Jahr. Aber jede vierte zusätzlich geleistete Stunde wird nicht entlohnt – 2022 und 2023 gab es jeweils 47 Millionen unbezahlte Überstunden. Dieser Lohnraub verursacht 1,5 Milliarden Euro an Schaden im Jahr.

Diese Überstunden verhindern auch, dass mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Chronische Überstunden sind ein Managementfehler und zeigen, dass es an zusätzlichen Arbeitskräften fehlt. Es gibt außerhalb von Kulturkampf-Nebelkerzen (“Diese verdorbene Jugend…”) kein Argument für unbezahlte Mehrarbeit. Arbeitgeber:innen, die mehr Arbeitsstunden für ihr Geschäftsmodell brauchen, müssen diese eben auch bezahlen. Niemand ist verpflichtet (auch nicht moralisch) über die vereinbarte Zeit zu arbeiten. 

Logisch wäre eine Arbeitszeitverkürzung 

Ganz im Gegenteil zur Forderung der Industriellenvereinigung gibt es aber stichhaltige Argumente für eine Arbeitszeitverkürzung – bei vollem Lohnausgleich. Das ist zum einen der ständige Anstieg von Produktivität. In viel kürzer Zeit erbringen Arbeitnehmer:innen heute die selben Leistungen wie früher. Arbeitgeber:innen profitieren davon enorm und bekommen quasi gratis zusätzliche Leistung.

Diese Schraube ist aber nicht unendlich drehbar. In vielen Berufen (Pflege!) kann nicht unendlich optimiert werden oder können nicht immer mehr Stunden hinzugefügt werden. Im Gegenteil: Die Leistungen wären besser, gäbe es weniger Arbeitszeit. Die Gesundheit der Arbeitnehmer:innen würde ebenso profitieren. Oft wird außerdem die gleiche Leistung in weniger Zeit erbracht und Leerläufe verringert. All das bestätigt sich auch immer wieder in vielen großen Experimenten. Die empirischen Argumente sind also klar auf der Seite der Verkürzung der Vollzeit-Arbeitszeit. Das Befindlichkeits-Voodoo der IV könnte also getrost ignoriert werden.

Der scheinbare Kompromiss

Aber auch darum geht es bei dem Vorschlag der Industriellenvereinigung. Es soll in der Öffentlichkeit ein Bild entstehen: Die einen sagen so (Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich), die anderen sagen so (Arbeitszeitverlängerung auf 41-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich). Denn dann braucht es also einen Kompromiss – und das ist der Status quo.

Auch falls man mit der eigenen Idee nicht durchkommt, soll sich dann zumindest nichts verändern. Absurde Forderungen können auch dazu dienen, den gegenwärtigen Zustand abzusichern oder aus der Sicht der Fordernden nur marginal zu „verschlechtern“. Wenn das Bild sich durchsetzt, bleibt auch unbeachtet, wie sinnvoll der jeweilige Vorschlag ist.

 

Mehr zur Arbeitszeitverkürzung auf MOMENT.at:

 

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • frizzdog
    24.04.2024
    ich glaub' ich träum! ...passt aber sehr gut zum ursprünglichen kollektivvertrags-anbot von "2,5%". präpotent und herablassend.
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