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Ungleichheit
Gesundheit

Diskriminierung: Erfahrungen aus dem Gesundheitsbereich

Stethoskop vor einer Regenbogenflagge als Symbol für Diskriminierung in der Medizin der LGBTQIA+ Community.
Diskriminierung von LGBTQIA+ Personen, zieht sich durch alle Lebensbereiche - und betreffen auch das Gesundheitswesen.
Ausgrenzung aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung sind in Österreich strukturelle Probleme. Sie ziehen sich durch alle Lebensbereiche - und betreffen auch das Gesundheitswesen. Dort sind Vorurteile besonders gefährlich, da sie das Wohlergehen und die Gesundheit von Betroffenen beeinflussen.

Wir haben unsere Community gefragt, welche Erfahrungen sie gemacht hat. Ein Überblick über die vielen Zuschriften – und die Datenlage.

Fehlende genderspezifische Medizin

Sowohl das biologische als auch das soziale Geschlecht haben Einfluss darauf, wie Krankheiten diagnostiziert werden, wie ein Krankheitsbild auftritt oder wie die Behandlung aussehen kann. Medizinische Studien beruhen jedoch immer noch stark auf Männern. In der medizinischen Forschung sind Frauen stark unterrepräsentiert. Eine Auswertung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA ergab, dass die Hälfte der 2018 und 2019 neu zugelassenen Arzneimittel an Versuchsgruppen getestet wurde, die zu weniger als 50 Prozent aus Frauen bestanden. Bei einigen Medikamenten konnten zudem geschlechterspezifische Unterschiede in der Wirkung festgestellt werden.

Das kann dazu führen, dass Krankheiten oder Schmerzen bei allen anderen Geschlechtern falsch diagnostiziert werden oder fälschlicherweise als psychische statt körperliche Probleme behandelt werden.

„Nachdem ich mehrere Panikattacken hatte, ging ich mit meinem Mann zu meinem Hausarzt, um eine Überweisung zu einer oder einem Therapeut:in zu bekommen. Mein Mann kam mit, um mir zu helfen, falls ich mit meinem Deutsch nicht weiterkomme. Der Arzt bestand darauf, mit mir auf Englisch – meiner Erstsprache – zu sprechen, aber er redete mit mir wie mit einem Kind. Als ich ihm die Anfälle erklärte, wandte er sich an meinen Mann und sagte: ‚Manchmal denken Frauen, dass sie krank sind. Aber sie sind es eigentlich nicht. Es ist in ihrem Kopf‘. Er sah mich an und sagte: ‚Normalerweise sind sie nur neurotisch‘.“

Gender wirkt sich auch darauf aus, wieso und wann wir uns untersuchen lassen. Für Frauen ist es oftmals schwierig, Ärtz:innen bei chronischen Schmerzen aufzusuchen – hier spielt Glaubwürdigkeit eine große Rolle. Dass Schmerzen bei Frauen nicht immer ernst genommen werden, ergab auch eine Studie aus den USA: Demnach erhalten Frauen, die in der Notaufnahme von akuten Schmerzen berichten, seltener Schmerzmittel als Männer. Bekommen sie doch welche, müssen sie außerdem länger darauf warten.

„Bin wegen heftigen Bauchschmerzen zur Notaufnahme gegangen. Erste Frage von einem Arzt: “Haben Sie ihre Periode?” Hatte ich nicht. Und solche Schmerzen sind auch während der Periode nicht normal. Er meinte dann, solange ich noch sprechen könne, kann es nicht so schlimm sein, und schickte mich weg. Letztendlich hatte ich was mit dem Blinddarm.“

Männer wiederum holen sich bei psychischen Problemen seltener Unterstützung. Die Gendermedizin möchte die Unterschiede der Geschlechter stärker in die Diagnose einbeziehen. In der Ausbildung von Mediziner:innen spielt diese jedoch noch eine sehr untergeordnete Rolle. 

Ignoriert: Endometriose

Eine von zehn Frauen* erkrankt im Laufe ihres Lebens an Endometriose. Doch nur wenige wissen, dass sie an der Krankheit leiden, die unerträgliche Regelschmerzen auslösen kann. Die Krankheit ist immer noch schlecht erforscht und ihre Ursachen unbekannt. Ärzt:innen wissen zu wenig darüber, eine gründliche Untersuchung bleibt bei vielen Patientinnen* daher aus.

„Mich haben zahlreiche männliche Frauenärzte wegen meiner starken Regelschmerzen belächelt, bis hin zu ‚Aber die Eierstöcke schneide ich Ihnen jetzt auch nicht raus‘. Bis ich endlich zu einer Frau gekommen bin, die mir letztlich die Diagnose Endometriose ausgestellt hat. Die Schmerzen wurden dadurch nicht besser, aber es hat gutgetan, endlich ernst genommen zu werden!“

Es sollte außerdem nicht als normal anerkannt werden, wenn eine Frau* bei der Regelblutung massive Beschwerden hat, arbeitsunfähig wird oder gar kollabiert und das Spital aufsuchen muss.

Umgang mit sexueller Gewalt

Menschen, die öffentlich über sexuellen Missbrauch und Übergriffe sprechen, werden oftmals niedergemacht. Zu oft wird ihnen nicht geglaubt oder ihnen selbst die (Teil-)Schuld gegeben. Falsche Beschuldigungen sind statistisch gesehen jedoch extrem selten.

Dennoch werden Opfer von sexueller Gewalt oftmals auch nach dem eigentlichen Vorfall weiter traumatisiert – durch die Behandlung durch medizinisches Personal, der Polizei oder Personen im Umfeld, die unsensibel reagieren. Wir müssen Betroffenen zuhören, sie ernst nehmen und ihren Berichten Glauben schenken. Nur, wenn wir darüber reden, können wir etwas verändern.

„Mit 15 erlebte ich einen sexuellen Übergriff, den ich zur Anzeige brachte. Die Polizei empfahl mir den direkten Weg ins Krankenhaus zur Spurensicherung. Ich wurde in einen Behandlungsraum gebeten und ein uralter Arzt kam rein. Er war unfreundlich und schroff. Er schaute mich an und sagte: ‚So kann ich nichts untersuchen. Sieh zu, dass du dich ausziehst‘. Eine Arzthelferin war dabei. Wenn der Arzt sie nicht sah, beschwichtigte sie sein Verhalten durch Gesten. Als ich mich nur unten rum frei gemacht habe, sagte er ebenso schroff, das würde nicht reichen. Dann zog ich den Rest aus. Er musterte mich und sagte: ‚So wie du aussiehst, ist es wohl kein Wunder, dass so was passiert‘. Ich hatte Angst und wäre am liebsten geflohen. Die Arzthelferin hat das alles mitgetragen.“

Diskriminierung gegenüber LGBTQIA+

Die Gewalt gegenüber queeren Menschen steigt deutlich an. Je sichtbarer die queere Community wird, desto mehr Hass und Vorurteile bekommt sie ab. In Österreich wurde bis 2019 Gewalt, die sich klar gegen diskriminierte Minderheiten wendet, nicht einmal als solche behördlich dokumentiert. Damit hinkte Österreich lange Zeit den völker- und europarechtlichen Vorgaben hinterher. Auch jetzt bleibt diese Form der Diskriminierung trotzdem oft unsichtbar und ungeahndet.

Eine EU-Studie aus dem Jahr 2020 belegt, dass 43 Prozent der Befragten LGBTQIA+ Personen persönliche Diskriminierung oder Belästigung wegen ihrer sexuellen Orientierung erfahren. Noch bedrückendere Zahlen lieferte der Bericht “Queer in Wien”: 4 von 5 LGBTQIA+ Personen wurden bereits im öffentlichen Raum beschimpft. Jede fünfte hat schon einmal einen körperlichen Angriff erfahren.

Menschen aus der LGBTQIA+ Community erleben in vielen Lebensbereichen  Diskriminierung, Gewalt, Ausgrenzung und Stigmatisierung – auch in der Gesundheitsversorgung. Das kann schlimme gesundheitliche Folgen haben. Es besteht die Gefahr, dass Betroffene seltener medizinische oder therapeutische Behandlung und Beratung in Anspruch nehmen. Dadurch werden Krankheiten teilweise nicht oder erst (zu) spät erkannt und behandelt.

„Erstgespräch bei meiner damaligen Gynäkologin: Ich habe ihr gesagt ich bin asexuell, damals war ich sexuell nicht aktiv. Dafür erntete ich herablassende Kommentare – ‚Wird schon noch‘, ‚Du bist spät dran‘, usw. Asexualität gibt es in der Welt der meisten Gynäkolog:innen nicht. Mehrfach habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich gar nicht richtig untersucht wurde. Was absolut nicht geht: Mensch muss nicht sexuell aktiv sein, damit eine umfassende gynäkologische Untersuchung sinnvoll ist. Am Ende des Termins hat mich die Ärztin noch einmal auf Verhütungsmethoden aufmerksam gemacht hat. Danach habe ich auf der Straße eine Panikattacke bekommen. Leider nicht das erste oder letzte Mal.“

So leiden zum Beispiel trans Menschen deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen, wie Depressionen und Angststörungen, und an körperlichen Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Problemen. Sie haben auch eine deutlich höhere Suizidgefährdung.

„Am schlimmsten für mich als trans Person war, als ein Arzt zu mir sagte: ‚Dann zeigen Sie mir mal Ihre Genitalsituation‘, obwohl es weder relevant für die Untersuchung noch das weitere Vorgehen in der Behandlung war – er war wohl einfach neugierig. Danach habe ich mich wahnsinnig eklig gefühlt. Wie ein Stück Fleisch und gleichzeitig beschmutzt – was soll bitte eine Genitalsituation sein?!“

Ausgrenzung aufgrund von HIV

In Österreich gibt es laut der Österreichischen AIDS Gesellschaft  9.000 HIV-infizierte Personen. Wer die Krankheit rechtzeitig erkennt, kann dank moderner Therapien heute ein ganz gewöhnliches Leben führen. Je früher Patient:innen mit der Behandlung anfangen, desto eher kann die Beschädigung des Immunsystems gestoppt werden. Menschen mit HIV sind dann nicht mehr ansteckend.

Mit den richtigen Medikamenten kann man eine Infektion auch gut vorbeugen. Das ist aber auch eine Frage des Geldes. Und weil über HIV kaum gesprochen wird, halten sich Vorurteile hartnäckig und Betroffene werden oft diskriminiert.

„Für notwendige Operationen hab ich bekannt gegeben, dass ich täglich PrEP nehme und die Reaktionen von Ärzt:innen haben mich schockiert. Einige wussten nicht, was es ist. Aber noch schlimmer: Ein Arzt hat mich begonnen zu belehren. Er wollte mir erklären, dass es nichts bringt. Einer der Anästhesisten hat mich vor der Operation dreimal gefragt, ob ich sicher nicht HIV-positiv bin. Ich wünsche mir viel mehr Bewusstsein darüber, wie wichtig dieses Medikament ist. Queere Repräsentation in Medien war in meiner Kindheit und Jugend immer mit AIDS und einem grausamen Tod verbunden. Diese Angst führt bis heute dazu, dass Menschen, die HIV-positiv sind, mit so viel Stigma zu kämpfen haben. Vor allem Ärzt:innen müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein, bevor sie Informationen weitergeben.“

Diskriminierung von HIV-infizierten Menschen ist eigentlich verboten. Dennoch sind sich selbst Ärzt:innen oft nicht bewusst, dass HIV nicht ansteckend ist, sofern die Hygienemaßnahmen beachtet werden, die in Spitälern und Arztpraxen sowieso Standard sein sollten. Behandlungen in körpernahen Dienstleistungen, wie Fußpflege und Massagen, werden oft abgelehnt und auch auf dem Arbeitsmarkt erfahren HIV-positive Menschen Benachteiligung. Solche Geschichten erreichen die Antidiskriminierungsstelle der Aids Hilfe regelmäßig.

„Mein Partner und ich (AIDS-positiv) sind unter Therapie und nicht infektiös. Wir haben die Pflicht, dies bei Ärzt:innen anzugeben. Wenn man dies bei egal welcher Untersuchung angibt, sagen die Blicke schon alles. Jedes Mal, wenn wir eine medizinische Behandlung anfragen, ist die Antwort entweder: ‚Wir können nicht helfen‘ oder ‚Unsere Klinik ist für diese Krankheit nicht ausgerüstet, weil man spezielle Gerätschaften benötigt‘.  Wir haben in Österreich noch halbwegs Glück. Man lebt damit, aber es ist dennoch ein Stigma und eine belastende Situation.“

Ausgelöst wird Aids durch das HI-Virus, das sich vor allem durch ungeschützten Sex sowie verschmutzte Nadeln und Infusionen verbreitet. Lange Zeit wurde das Problem ignoriert und mit schädlichen Mythen und Vorurteilen über sexuelle Minderheiten verbunden. Es kann jedoch jede Person treffen, unabhängig von Geschlecht oder sexueller Orientierung.

Strukturelle Probleme

Die Probleme mit Ausgrenzung und Diskriminierung haben Struktur in unserer Gesellschaft – und betreffen alle Menschen, denen Vorurteile entgegengebracht werden. Wir müssen uns gemeinsam dafür einsetzen, dass sich alle Menschen bei uns sicher fühlen und angemessen medizinisch behandelt werden. 

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