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Klimakrise
Kapitalismus

Kohlekraftwerk Mellach geht wieder ans Netz: Mehr als ein Schritt zurück bei der Energiewende

Kohlekraftwerk Mellach geht wieder ans Netz: Mehr als ein Schritt zurück bei der Energiewende
Zurück in die Steinkohlezeit: Weil weniger Gas aus Russland kommt, soll das eingemottete Kohlekraftwerk Mellach wieder ans Netz gehen. "Niemand will das", sagen Beteiligte. Die Notlage ist hausgemacht. Österreich habe sich sehenden Auges in die Arme Russlands geworfen "und gedacht, das geht immer so weiter". Ob das Kohlekraftwerk russisches Gas ersetzen kann, ist zweifelhaft. Wie das Werk wieder flottgemacht werden soll, ist unklar.

Ausgerechnet unter einer grünen Energieministerin beschließt Österreichs Regierung, wieder ein Kohlekraftwerk ans Stromnetz anzuschließen. In Mellach, 15 Kilometer südlich von Graz soll bald wieder Kohle verfeuert werden.

Eher überraschend verkündeten Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Klimaschutz- und Energieministerin Leonore Gewessler, Mellach wieder fit zu machen für Kohlestrom. Beauftragt wird damit der Energiekonzern Verbund, der das Kraftwerk besitzt und der mehrheitlich der Republik gehört.

Kohlekraftwerk Mellach wurde 2020 abgeschaltet

Im Jahr 2020 wurde Mellach als letztes Kohlekraftwerk Österreichs vom Netz genommen. Doch noch immer kommen 9 Prozent der verbrauchten Energie aus der Kohle. Nach der Schließung  wurde das Werk zu einem Gasverbrenner umgebaut. Nun soll es wieder auf Kohle umrüsten.

Es ist mehr als nur ein Schritt zurück auf dem Weg zur dringend notwendigen Energiewende. Und: „Politisch ist das eine Katastrophe“, sagt Werner Grobbauer zu MOMENT. Er berät Unternehmen dabei, wie sie weniger fossile Energie verbrauchen können – auch im Auftrag der vom Klimaschutzministerium finanzierten Wirtschaftsinitiative Nachhaltige Steiermark. Grobbauer hat sein Büro in der Gemeinde Fernitz-Mellach, wenige Kilometer vom Kraftwerk entfernt.

Eine „Panikreaktion“ sei es, das Kraftwerk wieder auf Kohle umzurüsten, sagt er. Aber: „Das ist jetzt eine Notsituation und besser sie machen was, als sie handeln gar nicht.“ Wer sich umhört, bekommt schnell den Eindruck: Glücklich ist von Klimaschutzministerium über den Verbund und Expert:innen zum Thema bis hin zum Bürgermeister von Mellach niemand damit, hier bald wieder rauchende Schlote zu sehen.

„Jetzt müssen wir das machen, was denke ich niemand in Österreich will“, sagt Verbund-Sprecherin Ingun Metelko zu MOMENT. Auf ihrem Schreibtisch habe sie noch ein Stück Steinkohle liegen, das übrigblieb, nachdem das Kohlekraftwerk stillgelegt wurde – als eine Art Mahnmal und stolzes Zeichen, den Kohleausstieg geschafft zu haben. „Das war für uns ein Meilenstein“, sagt Metelko. Jetzt wird das Kohlestück wohl wieder gebraucht.

Woher soll die Kohle kommen? Früher aus Russland

Aber: So richtig zu Ende gedacht, ist die Sache noch nicht. Wie lange es dauert, das Kraftwerk umzubauen und was es kostet, müsse jetzt „evaluiert“ werden, heißt es von Ministerium und Kraftwerksbetreiber. Mehrere Monate soll es dauern. Auf konkrete Zahlen will sich niemand festlegen. Ein höherer einstelliger Millionenbetrag bis zu einem niedrigen zweistelligen könnte es werden, schätzen Insider.

Offen ist auch, wo Mitarbeiter:innen herkommen sollen, die sich damit auskennen, ein Kohlewerk zu betreiben. Viele von denen, die früher dort arbeiteten, seien mit der Abschaltung in die Pension gegangen, so Bürgermeister Tulnik. Der Verbund habe seitdem keine darin geschulten Mitarbeiter:innen mehr, sagt Metelko. „Und die entscheidende Frage ist: Woher kommt die Kohle?“ Denn die schaffte der Verbund früher neben Polen aus Russland an. „Das fällt ja nun weg“, sagt Metelko.

Ob es überhaupt hilft, mit dem Kohlewerk weniger abhängig vom russischen Gas zu sein, bezweifeln Experten wie Stefan Schleicher, Volkswirtschaftler und Professor am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. „Kohle taugt nur eingeschränkt als Ersatz für Gas“, sagt er zu MOMENT. „Solche Kraftwerke sind nur für die Grundlast tauglich, die können sie nicht einfach ein- und ausschalten“, sagt er.

Moderne Gaskraftwerke hingegen könnten das. „Die springen ein, wenn erneuerbare Energien gerade nicht ausreichend Strom liefern“, sagt Schleicher. Der Standort sei außerdem viel zu weit entfernt von dort, wo Gas ersetzt werden müsste. Denn das sei vor allem Wien. Die Werke werden dort vor allem gebraucht, um Fernwärme zu erzeugen.

Österreichs GAU: Kein Gas mehr aus Russland

Eine Leitung aus der Südsteiermark in die Hauptstadt zu bauen, ergibt keinen Sinn. „Und in Graz wird das eben nicht gebraucht“, sagt Schleicher. In den vergangenen Monaten stand das Gaskraftwerk still. Es wurde nicht benötigt, um Strom und Fernwärme zu liefern. Strom aus Gas und Kohle zu gewinnen ist nicht nur bei den jetzigen Gaspreisen viel teurer als erneuerbare Energien aus Wasser, Wind und Sonne. Also hieß es: erstmal einmotten.

Auch als Kohlekraftwerk soll Mellach nur in einer „Notlage“ ans Netz gehen, sagt Andreas Strobl, zuständiger Experte im Klimaschutzministerium zu MOMENT. Was diese Notlage sein soll? „Es ist für den Fall, dass für lange Zeit überhaupt kein Gas mehr aus Russland kommt“, sagt er. „Mellach liefert ein Zehntel des Stroms unseres fossilen Kraftwerkparks.“ Es könnte den Energiehaushalt „verbessern“. Mehr aber nicht.

Jetzt sei es allenfalls ein Notnagel, die Kohle wieder zu reaktivieren. „Langfristig geht das nur über Erneuerbare“, sagt Strobl. „Und bevor wir das Kraftwerk einschalten, sollten wir auch über andere Gasquellen nachdenken.“ Denn die Gaswerke werden, ob man nun will oder nicht, auch in Zukunft gebraucht – weil sie schnell einspringen, wenn Wind nicht weht, Sonne nicht scheint und Flüsse zu wenig Wasser führen.

Stromspeicher, die überschüssige Energie aus erneuerbaren Quellen für schlechtere Zeiten bevorraten, gibt es noch nicht genug. „Wir bauen gerade zwei Pumpspeicherwerke“, sagt Ingun Metelko vom Verbund. Von heute bis zum Herbst ginge es aber nicht. Deshalb brauche es jetzt eben auch die Kohle. „Langfristig sind die Erneuerbaren aber der einzige Weg, um aus der Abhängigkeit vom Gas herauszukommen“, sagt sie. „Jede gewonnene Kilowattstunde hilft, die nicht aus Gas kommt.“

Österreich hat sich Russland ausgeliefert – freiwilig

Abhängig vom Gas zu sein, heißt hierzulande abhängig von Russland zu sein. 80 Prozent des Gases kommt aus dem Land von Präsident Wladimir Putin. Mit den Milliardenzahlungen für Gas finanzieren Österreich und viele andere EU-Länder seinen Krieg gegen die Ukraine.

Ebenfalls am vergangenen Sonntag kündigte die Regierung an, die Summe von 6,6 Milliarden Euro ausgeben zu wollen, um bis zum Winter die „strategischen Gasreserven“ in Österreichs Speichern von derzeit 40 auf 80 Prozent zu füllen. Darunter heißt es: „Das Gasdiversifizierungsgesetz fördert den Ankauf von nicht-russischem Gas mit bis zu 100 Millionen Euro.“ Das sind 1,5 Prozent davon.

„Wir haben uns sehenden Auges Russland ausgeliefert“, sagen Expert:innen, die damit lieber nicht offen zitiert werden wollen. „Alle österreichischen Regierungen der vergangenen 15 Jahre waren froh, billiges russisches Gas zu bekommen“, heißt es. „Die dachten, das geht ewig so weiter.“ Treffen, Verhandlungen und Fotos mit Alexei Miller, dem Chef des russischen Energieriesen Gazprom, gab es sowohl von Christian Kern (SPÖ) als auch Sebastian Kurz (ÖVP) in deren Regierungszeit.

Völlig außer Acht gelassen worden sei, zu tun, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Die Energieversorgung auf mehrere Füße zu stellen, statt sich auf einen zu verlassen. Denn fällt der weg, kippt alles. „Das fliegt uns jetzt um die Ohren“, sagt der Insider.

Wirtschaftlobby kritisiert, was sie selbst verursacht hat

Unternehmen und ihre Interessenvertreter wie die Industriellenvereinigung (IV) hätten das angefeuert und daneben bei Erneuerbaren Energien gebremst, wo es nur ging, sagt der Insider. „Es gibt interne Papiere der IV, in denen alle Initiativen und Gesetze, die die Energiewende fördern, abgelehnt werden.“

Das seien aber die Maßnahmen gewesen, die es gebraucht hätte, „um aus der Abhängigkeit herauszukommen“. Und jetzt würden genau diese Unternehmen und Interessenvertreter kritisieren, dass Österreich so abhängig von russischem Gas ist und Maßnahmen fordern, das zu ändern. Das seien mindestens widersprüchliche Aussagen. „Vorher hat die Wirtschaft jahrzehntelang nichts gemacht“, kritisiert der Experte. Und jetzt wollten sie einfach andere Gasquellen anzapfen „und weitermachen wie bisher“.

Bei der Energiepolitik „haben wir große Probleme“, sagt Stefan Schleicher von der Uni Graz. „Es ist immer nur ein Zipfel, der präsentiert wird und nie ein schlüssiges Konzept.“ Ziele würden zwar festgelegt, „aber wie der Weg dahin aussehen soll, ist überhaupt nicht klar“. Für Österreich heißt das im Jahr 2022: Raus aus Gas, rein in die Kohle.

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