Fortschritt
Kapitalismus

Leere Wohnungen: Was alles für eine Leerstandsabgabe spricht

Hunderttausende Wohnungen stehen leer, während wir wertvolle Böden verbauen und Wohnen immer teurer wird. Eine Leerstandsabgabe kann beide Probleme wirksam bekämpfen. Momentum-Ökonom Leonard Jüngling kommentiert.

Seit über einem Jahrzehnt werden immer mehr Wohnungen fertiggestellt, gleichzeitig fehlt Wohnraum und die Mieten steigen. Ein Grund dafür: Wohnungen stehen bewusst leer. Das Bedürfnis ‘Wohnen’ ist zunehmend zu einem lukrativen Geschäftsmodell geworden. Profite mit der Miete und Wohnraum-Spekulation von Immobilien-Konzernen gehören zur Tagesordnung.   

Den meisten Menschen bringt eine leerstehende Wohnung genauso so viel wie eine nicht gebaute Wohnung – gar nichts. Für die wenigen, die Wohnungen besitzen und leer stehen lassen, ist es hingegen ein lukratives Geschäft: Eine Wohnung zu vermieten bedeutet Aufwand und Mieter:innen sind gesetzlich geschützt. Eine leerstehende Wohnung hingegen verursacht kaum Kosten. Sie wirft aber hohe Gewinne ab, wenn sie Jahre später mit einer saftigen Wertsteigerung weiterverkauft wird.


Das könnte dir auch interessieren

Wohnraum als Spekulationsobjekt

In Österreich sind die Immobilienpreise seit 2010 regelrecht explodiert. Heute sind Immobilien im Schnitt mehr als doppelt so viel wert wie vor 15 Jahren. Wohnungen dienen so nicht mehr als Wohnraum für die Bevölkerung, sondern zunehmend als Geldanlage und Spekulationsobjekt für Vermögende. Eine Wohnung, in der man selbst nicht wohnt, leer stehen zu lassen, das muss man sich erst einmal leisten können. 

Valide Zahlen zu leerstehenden Wohnungen sind aber kaum zu finden. Denn: Leerstand wird statistisch nicht erfasst. Aber man kann sich annähern. Je nach Annahmen und Datenquellen liegt die Zahl der Leerstände im Land irgendwo zwischen 230.000 bis 650.000 Objekten. Verlässliche Daten könnten erfasst werden, wenn der politische Wille vorhanden wäre. Die Zusammenführung von Meldedaten zum Eigentum und den Wohnsitzmeldungen könnte Leerstände offenlegen. Ebenso wie verpflichtende und regelmäßige Meldungen durch die Eigentümer:innen, ob und wer in ihrer Wohnung lebt. 

Leerstandsabgabe für mehr leistbaren Wohnraum

Wer nicht nachweisen kann, dass die Wohnung vermietet ist oder keinen Grund für einen Leerstand hat, sollte eine Abgabe zahlen. Eine Studie zur Leerstandsabgabe in Frankreich zeigt: Wird Leerstand besteuert, geht dieser auch zurück.

In Österreich gibt es eine entsprechende Abgabe bereits in drei Bundesländern: In der Steiermark und in Salzburg können die Gemeinden eine solche erheben, in Tirol sind sie dazu sogar verpflichtet. Allerdings schaffen die Abgabesätze mit weniger als 30 Euro pro Quadratmeter jährlich bisher kaum Anreiz, weil sie zu niedrig angesetzt sind. Eine klug gestaltete Leerstandsabgabe müsste jedenfalls über der Wertsteigerung der Immobilen liegen. Und damit bei zumindest 200 Euro pro Quadratmeter im Jahr. 

Leerstandsabgabe als Instrument für Klimaschutz

Eine Leerstandsabgabe bringt mehr Wohnraum, ist aber gleichzeitig auch aus klimapolitischer Perspektive zentral. Unsere Bevölkerung wächst stetig und diese Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf. Wenn immer mehr Wohnungen aus Spekulation und Gewinnmacherei leer stehen, muss dieser Wohnraum anderswo herkommen. Also wird gebaut. Noch mehr Flächen werden versiegelt, noch mehr wertvolle sowie limitierte Ressourcen werden verbraucht.

Dabei muss das Gebot der Stunde in Zeiten der Klimakrise lauten: Böden entsiegeln, bestehenden (Wohn)Raum nutzen. Bauen wir in die Fläche, befeuert das die Zersiedelung weiter. Verkehr und Emissionen nehmen so weiter zu. Eine gut gestaltete Leerstandsabgabe ist also gleichzeitig effektiver Klimaschutz – und den brauchen wir dringend. 

Altbestand nutzen vor Neubau-Errichtung

Wohnbedürfnisse müssen gestillt werden, wohnen muss schließlich jede und jeder. Das muss aber nicht notwendigerweise durch neue Bauten passieren. Eine zentrale Frage ist: Wie wird der aktuelle Bestand derzeit genutzt und wie ist er verteilt. Eine Studie aus Deutschland zeigt etwa, dass durch Aufstocken, Umnutzen oder Teilen von Gebäuden der Neubaubedarf an Wohnraum um bis zu 83 Prozent sinken kann.

Das macht auch ressourcentechnisch Sinn: Altes niederzureißen und Neues darauf zu bauen, ist ressourcenintensiver als zu sanieren, umzubauen oder zu erweitern (Stichwort Nachverdichtung). So zeigen Modellberechnungen der Universität für Bodenkultur, dass 2018 in Österreich etwa 72 m² beheizte Fläche (Wohnraum und Büroflächen) pro Kopf zur Verfügung standen. Bei gleichbleibender Entwicklung bis 2040 wächst der Raum auf 78 m² pro Person an. Stoppen wir den Neubau auf unbebautem Land schrittweise, reduziert sich die Pro-Kopf-Fläche bis 2040 auf 67 m².

Was das für einen Unterschied macht

Fünf Quadratmeter mehr oder weniger hört sich nicht viel an, entfaltet aber ressourcentechnisch eine enorme Wirkkraft. Bauen wir weiter wie bisher benötigen wir dafür 45 Millionen Tonnen an Ressourcen. Stoppen wir den Neubau auf unbebauten Flächen, benötigen wir bis 2040 nur lediglich 5 Millionen Tonnen. Der Materialverbrauch könnte so im Gebäudesektor um 85 Prozent gesenkt werden, inklusive Instandhaltung, thermische Sanierung und Heizungstausch.  

Es führt kein Weg daran vorbei, Wohnen und Klimaschutz zusammen zu denken und umzusetzen. Die Instrumente dafür liegen bereits am Tisch: eine Leerstandsabgabe, deren Höhe sensibel genug angesetzt ist, dass es sich auch ‘auszahlt’, die Wohnung zu vermieten, schafft mehr leistbaren Wohnraum. Dafür muss auch der Leerstand möglichst lückenlos erhoben werden. Sanieren wir mehr, bauen um und auf statt neu, gehen wir bedachter mit Ressourcen um. 


Das könnte dir auch gefallen