Nikolaus-Verbot? Warum die Lüge immer wieder ausgegraben wird
Zur besinnlichsten Zeit des Jahres schlagen die Herzen der Österreicherinnen und Österreicher höher. Bei manchen ist es die Vorfreude auf Weihnachten, bei anderen die Glühweine vom Vorabend. Bei vielen ist es aber auch die Empörung.
“Von allen Seiten hagelt es wilde Proteste” schreibt die Krone. Der Präsident des Familienbundes spricht von “unglaublicher Doppelmoral”, für den Seniorenbund ist das Verbot “absurd und sehr bedauerlich” und der Obmann der Wiener FPÖ, Heinz-Christian Strache bezeichnet es als “Bankrotterklärung der Wiener Integrationspolitik”.
Moment, Heinz-Christian Strache?
Das Nikolaus-Verbot, das es nie gab
Richtig gelesen: Diese Reaktionen stammen aus dem Jahr 2006. Fast 20 Jahre ist es her, dass die Aufregung um das vermeintliche “Nikolaus-Verbot” so richtig Fahrt aufgenommen hat und uns seitdem jährlich vorgesetzt wird.
Der Auslöser: In den Wiener Kindergärten hatte man sich entschieden, dass der Nikolaus nicht kommen solle – zumindest nicht mehr so, wie gewohnt. Was die FPÖ um Strache damals aus rassistischer Überlegung mit “Integration” verknüpft hat, war eine pädagogische Maßnahme. Die damals übrigens auch vom katholischen Kindergartenwerk befürwortet wurde.
Denn, anders betrachtet: Würde man vorschlagen, dass ein fremder Mann verkleidet in Kindergärten kommt, böse Kinder bestraft und gute belohnt, wäre die Aufregung wohl noch größer. Vielleicht sogar bei der FPÖ.
Um Werte ging es der FPÖ bei der Aufregung nicht. Denn dann hätten sie sich über die Alternative gefreut: Den Kindern sollte die Legende vom Heiligen Nikolaus nähergebracht werden, sie selbst oder Pädagog:innen konnten sich als Nikolaus verkleiden. Bis heute gilt in Wien, dass alle Standorte so feiern können, wie sie das möchten.
Der Nikolaus wird in Niederösterreich zum Zwang
Die Diskussion von 2006 ist in guter österreichischer Tradition einfach picken geblieben. Jahr um Jahr kommen dieselben Vorwürfe, nur um sie genauso oft wieder zu entkräften. Kurz zusammengefasst: Nein, es gibt kein Nikolaus-Verbot. Hat es in der Form nie und wird es wohl auch nie geben. Es verändert sich maximal die Form, in der das Fest gefeiert wird.
Dafür treibt die Diskussion jedes Jahr absurdere Blüten. Diesmal prescht die schwarz-blaue Regierung in Niederösterreich vor. Dort sollen Brauchtum und christliche Werte im Bildungsplan für Kindergärten verankert werden. Was nie zur Diskussion stand, wird zum Zwang. Alles andere wäre “falsch verstandene Toleranz anderen Kulturen gegenüber”, so die Verantwortlichen in Niederösterreich. Denn bei uns bringt der Nikolaus eben auch die Grundwerte in die Schulen und Kindergärten mit. Sehr praktisch, dann muss man sie nicht vorleben.
Dem nicht genug, soll gegen die “Massenzuwanderung” in Zukunft in jedem niederösterreichischen Klassenzimmer ein Kreuz hängen. Mag natürlich sein, dass die Behörden Zuwanderer mit Vampiren verwechseln. Wie unsere Werte damit geschützt werden sollen, ist zumindest uns ein Rätsel.
Der heilige Nikolaus als Kulturkämpfer?
Das angebliche Nikolaus-Verbot ist ein zutiefst österreichisches Lehrbeispiel für einen Kulturkampf: Eine kleine Geschichte wird aufgeblasen, steht plötzlich für das große Ganze (Identitätsverlust! Massenzuwanderung!!) und wird immer wieder ausgegraben, um für Empörung zu sorgen.
Dass die Empörung dabei so groß ist, liegt an einer weiteren österreichischen Eigenheit: Dem Festkrallen am Glauben, dass sich manche Dinge auf keinen Fall verändern dürfen. Weil es immer schon so war, muss es auch immer so bleiben.
Gerade beim Kampf um den Nikolaus darf man die Empörung nicht ernst nehmen und sich im besten Fall darüber lustig machen. Doch leider verschiebt sich etwas: Die Maßnahmen in Niederösterreich sind ein Beispiel dafür, dass solche Kulturkämpfe immer häufiger reale Auswirkungen haben. Und da kann einem schonmal das Lachen im Hals stecken bleiben.
Ein Vorschlag zur Güte: Politiker:innen, die vor einem Nikolaus-Verbot warnen, leben die Werte des heiligen Nikolaus tatsächlich vor: Güte, Nächstenliebe und Solidarität. Und bedienen sich nicht nur bei solchen Symbolen, wenn sie andere ausgrenzen wollen. Dann können wir den Nikolaus gerne jedes Jahr in die Kindergärten kommen lassen.