Psychotherapie in Österreich: Alles, was du wissen musst
Was ist Psychotherapie?
Psychotherapie ist ein gesundheitliches Heilverfahren, das dir hilft, psychisch bedingtes Leid zu lindern und zu verhindern. Mit ihr lassen sich Lebenskrisen bewältigen oder problematische Verhaltensweisen ändern. Es gibt in Österreich derzeit 23 vom Gesundheitsministerium anerkannte und wissenschaftliche fundierte Methoden der Psychotherapie. Am bekanntesten sind die Psychoanalyse oder die Verhaltenstherapie. Es gibt Einzel- und Gruppentherapien, sowie Paar- und Familientherapie.
Wie läuft eine Psychotherapie ab?
Wie eine Psychotherapie abläuft, ist von Person zu Person unterschiedlich. Du teilst deine Sorgen der Therapeutin oder dem Therapeuten mit, dann entwickelt ihr gemeinsam eine Strategie, wie ihr die Probleme angehen könnt. Psychotherapeut:innen geben dir nicht vor, wie du ein Problem zu lösen hast. Das Ziel der Therapie kann sich im Laufe der Sitzungen auch ändern. Was du deiner Therapeutin erzählst, bleibt bei ihr: Psychotherapeut:innen stehen unter Verschwiegenheitspflicht. Eine Psychotherapie kann aber muss nicht mit Medikamenten ergänzt oder begleitet werden – etwa Psychopharmaka wie Antidepressiva oder Neuroleptika. Eine psychotherapeutische Sitzung findet meistens einmal die Woche statt, eine Behandlungseinheit dauert zwischen 50 und 60 Minuten.
Wer darf Psychotherapie in Österreich anbieten?
Wer Psychotherapie praktizieren darf, ist in Österreich im Psychotherapiegesetz aus dem Jahr 1991 geregelt. Dort ist sie als “erlernte, umfassende, bewußte und geplante Behandlung von psychosozial bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen” definiert. Berechtigt sind Menschen, die eine entsprechende psychotherapeutische Ausbildung abgeschlossen haben und das 28. Lebensjahr vollendet haben. Sie müssen eine gesundheitliche Eignung und Vertrauenswürdigkeit nachweisen.
Wie ist die Ausbildung für Psychotherapeut:innen in Österreich geregelt?
In Österreich gilt: Psychotherapeut:in wird, wer es sich leisten kann. Denn die Ausbildung liegt fast ausschließlich in privater Hand. Insgesamt müssen Psychotherapeut:innen um die 60.000 Euro in die rund siebenjährige Ausbildung investieren. Privatuniversitäten wie die Sigmund-Freud-Universität in Wien verlangen zwischen 40.000 und 50.000 Euro allein für das Fachspezifikum. Die Auswahl erfolgt also nach einem kapitalistischen Prinzip. Die Folge: Psychotherapeut:innen müssen das Kapital, das sie für die Ausbildung ausgeben, in der Praxis wieder reinholen. Das führt in Österreich zu hohen Honoraren.
Was ist der Unterschied zwischen Psychotherapeut:in, Psychiater:in und Psycholog:in?
Vielen fällt es schwer, diese Berufsgruppen zu unterscheiden. Grundsätzlich gilt: Wer ein Psychologie-Studium an der Universität abgeschlossen hat, ist berechtigt die Berufsbezeichnung “Psycholog:in” zu tragen. Psycholog:innen mit Zusatzausbildung ( z.B. zum klinischen Psychologen oder zur Gesundheitspsychologin) sind sowohl im klinischen Bereich, z.B. zur Akutbehandlung und zur Diagnostik, als auch im niedergelassenen Bereich zur Beratung psychisch Kranker tätig. Andere verdienen als Coaches oder Unternehmensberater:innen ihr Geld. Die Leistungen von Psycholog:innen werden allerdings im Gegensatz zur Psychotherapeut:innen nie von den Krankenkassen getragen.
Psychiater:innen sind Ärzt:innen. Sie haben ein medizinisches Studium und eine Facharztausbildung absolviert. Sie können die Diagnose stellen und sind für die Behandlung mit Medikamenten und die Überprüfung der Nebenwirkungen zuständig. Seit 2011 gibt es allerdings auch die Ausbildung als Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin: Durch sie sind Psychiater:innen ebenfalls dazu befähigt, Psychotherapie zu praktizieren.
Weder reine Psycholog:innen noch reine Psychiater:innen dürfen nach den 23 anerkannten Methoden der Psychotherapie behandeln. Oft überschneiden sich die Berufsbilder aber, so haben viele Psycholog:innen auch eine Ausbildung als Psychotherapeut:in absolviert. Im Gegensatz zu den anderen beiden Berufsfeldern ist die Ausbildung zur Psychotherapeut:in allerdings nicht nur für Akademiker:innen vorgesehen. Auch Sozialarbeiter:innen, Krankenschwestern, Kindergärtner:innen oder Lehrer:innen können diese Ausbildung absolvieren.
Wann ist eine Psychotherapie sinnvoll?
Seelische Probleme lassen sich nicht messen. Es gibt deshalb keine Voraussetzung, Psychotherapie machen zu “dürfen”. Es braucht auch keine medizinische Rechtfertigung in Form einer Diagnose. Der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie weist darauf hin, dass bereits die Frage “Sollte ich Psychotherapie machen?” ein Signal ist, dass du ein Problem hast, das deine Seele belastet. Alle Symptome, die die Lebensqualität eines Menschen negativ beeinträchtigen und nicht auf eine körperliche Ursache zurückzuführen sind, sind gute Gründe für eine Psychotherapie: Das kann neben einer schweren Depression auch akute Einsamkeit oder die Angst vor Spinnen sein.
Wann hilft eine Psychotherapie nicht?
Bei schweren psychischen Störungen wie Schizophrenie oder einer bipolaren Störung reicht eine Psychotherapie allein oft nicht aus. Auch bei akuter Suizidalität bedarf es einer stationären Versorgung in einer psychiatrischen Einrichtung. Psychotherapie kann außerdem erfolglos sein, wenn das Verhältnis zwischen Therapeut:in und Patient:in gestört ist oder die therapierende Person die falsche Methode anwendet. Du solltest dir daher gemeinsam mit deinem Therapeut:in genau überlegen, welche Methode am besten zu dir passt. Wenn du unzufrieden mit der oder dem Therapeut:in bist, solltest du auch nicht zögern, zu wechseln.
Wie bekomme ich einen Therapieplatz in Österreich?
Du kannst dich zunächst mit deinen Anliegen an deinen Hausarzt oder deine Hausärztin wenden. Oft können diese bereits an passende Therapeut:innen vermitteln. Online findest du beim österreichischen Bundesverband für Psychotherapie eine Liste, weitere findest du auf Psyonline oder beim Gesundheitsministerium. Beim Telefonat machst du ein Erstgespräch aus, das in vielen Fällen zunächst gratis ist, aber manchmal auch bereits etwas kostet.
Müssen meine Eltern in Österreich wissen, dass ich Psychotherapie mache?
Es gibt keine Altersbeschränkung für seelisches Leiden und somit auch nicht für Psychotherapie. Ab einem Alter von 14 Jahren kannst du selbst bestimmen, ob du eine Therapie machen willst. Davor braucht es eine Einverständniserklärung der Eltern. Aber auch, wenn du unter 14 eine Therapie beginnst, gilt für deine:n Therapeut:in die absolute Verschwiegenheitspflicht. Sollte der oder die Therapeut:in mit deinen Eltern sprechen wollen, braucht er dafür dein Okay. Du hast außerdem das Recht, zu erfahren, worüber mit der Bezugsperson gesprochen wurde. Nur in einer akuten Notsituation darf dein Therapeut oder deine Therapeutin die Verschwiegenheitspflicht brechen: zum Beispiel, wenn du mit Suizid drohst oder andere mit deinem Verhalten in Gefahr bringen könntest.
Was kostet Psychotherapie in Österreich?
Anders als bei den meisten körperlichen Erkrankungen, bei der eine Behandlung bei Kassenärzt:innen gratis ist, ist Psychotherapie eine Privatleistung. Die Honorare für eine Einzelsitzung von 50 Minuten bewegen sich zwischen 70 und 150 Euro. Es gibt in Österreich einige Möglichkeiten, sich bei der Finanzierung helfen zu lassen:
Die Teilrefundierung: Weist du eine ärztliche Untersuchung vor, kannst du dir von deiner Krankenkasse einen Teilbetrag zurückerstatten lassen. Einen ersten Antrag stellst du für die ersten zehn Therapiestunden, danach kann ein weiterer für maximal 50 Sitzungen gestellt werden. Die Zuschüsse schwanken je nach Kasse zwischen 28 und 40 Euro.
Psychotherapie auf Krankenschein: Wer Glück hat, bekommt einen voll finanzierten Kassenplatz. Das Kontingent für diese Plätze variiert von Bundesland zu Bundesland, ist aber stets klein. Das führt zu Wartezeiten von bis zu einem Jahr. Eine Psychotherapie auf Krankenschein kannst du für bis zu 40 Sitzungen beantragen, bevor du einen neuen Antrag stellen musst.
Gibt es in Österreich ausreichend Therapieplätze auf Krankenschein?
Nein. Zwar gibt es über 10.000 Psychotherapeut:innen, die laut Bundesverband den Bedarf decken können, aber die Kontingente der Krankenkassen sind dennoch begrenzt. Aktuell stehen laut ÖBVP rund 70.000 Plätze zur Verfügung. Das entspricht 0,8 Prozent der österreichischen Bevölkerung. 10.000 warten zurzeit ganz offiziell auf einen Therapieplatz. Bereits im vergangenen Jahr wurde eine bundesweite Petition gestartet, um auf dieses Dilemma aufmerksam zu machen.
Die ÖGK hat zuletzt versprochen, sich diesem Engpass anzunehmen und das Kontingent bis Ende 2022 um 20.000 Plätze zu erhöhen. Laut Peter Stippl, Präsident vom ÖBVP, sei das allerdings ein Tropfen auf dem heißen Stein. Immerhin haben bei einer Befragung 39% der Österreicher:innen angegeben, schon einmal unter einer psychischen Erkrankung gelitten zu haben.
Besonders betroffen sind auch Kinder. 23,93 Prozent aller 10 bis 18-Jährigen in Österreich leiden an einer psychischen Erkrankung. Das ergab 2017 die erste österreichweite Untersuchung. Die Plattform „Politische Kindermedizin“ hat berechnet, dass derzeit mindestens 88.000 psychisch kranke Kinder und Jugendliche davon betroffen sind, keinen Therapieplatz zu bekommen.
Hat Corona die Versorgungslage bei Psychotherapie verschlimmert?
Dass die persönlichen und allgemeinen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, sowie die Herausforderungen in Homeoffice oder im Unterricht nicht spurlos an der Bevölkerung vorbeigehen werden, war klar. Eine Studie der Stadt Wien zeigt deutlich, wie sehr die Corona-Krise Menschen trifft, die schon vor Corona sozial benachteiligt waren oder in prekären Verhältnissen gelebt und gearbeitet haben. Demnach habe sich die psychische Gesundheit bei über einem Viertel der Wiener:innen verschlimmert.
Wie soll ich mir eine Psychotherapie ohne Krankenschein leisten?
Einige Psychotherapeut:innen bieten Sozialtarife für Menschen mit wenig oder gar keinem Einkommen an. Der genaue Tarif wird mit der Therapeutin oder dem Therapeut ausgehandelt. Auch bei Psychotherapeut:innen in Ausbildung unter Supervision sind die Honorare oft niedriger.
Eine letzte Möglichkeit ist, spezielle Einrichtungen und Ambulanzen aufzusuchen, die vergünstigte oder gar kostenlose Kurzzeittherapien anbieten. Dazu zählen Suchtberatungen, Studierendenberatungen, Familienberatungsstellen oder die Männerberatung oder für wohnungslose Menschen auch das neunerhaus. In diesen Stellen zahlst du teils nur 15 Euro die Stunde, zum Beispiel als Bezieher:in der Mindestsicherung. Die Zeit ist allerdings oft begrenzt, je nach Beratungsstelle kannst du nur 10 bis maximal 15 Stunden in Anspruch nehmen, nur selten ist eine langfristige Beratung möglich.