Schrotthäuser: Wien droht Immo-Spekulanten mit Zwangsverwaltung

Wien ist voller Baustellen, und auf einigen passiert seit Jahren nichts. Baufällige Zinshäuser im Besitz großer Immobilienunternehmen stehen eingerüstet. Fenster sind herausgerissen, Dächer stehen offen. Schimmel breitet sich aus, Tauben nisten in leerstehenden Wohnungen.
Und: Wasser läuft in Wohnungen, in denen aber tatsächlich noch Menschen leben. Sie müssen ohnmächtig mit ansehen, wie ihr Wohnhaus mehr und mehr verfällt – weil ihre Besitzer:innen sich nicht darum kümmern. Und das mutmaßlich mit Absicht. Seit mehr als eineinhalb Jahren berichtet MOMENT.at regelmäßig über solche wahren Schrotthäuser.
Immo-Spekulanten droht Zwangsverwaltung
Was ihnen helfen könnte und was viele von ihnen sich wünschen: Betroffene Häuser sollen unter Zwangsverwaltung gestellt werden. Die vom Gericht eingesetzten Zwangsverwalter:innen geben dann notwendige Reparaturmaßnahmen in Auftrag. Die Kosten dafür müssen die Hauseigentümer:innen tragen.
Das Problem: Mieter:innen sind dabei weitgehend auf sich allein gestellt. Bisher sind sie es, die Anträge auf Zwangsverwaltung bei der Schlichtungsstelle oder vor Gericht einbringen. Viele schreckt das ab: Wer will sich schon mit seiner Vermietung anlegen? Denn besonders Mieter:innen mit befristeten Verträgen müssen dann fürchten, bald ihre Wohnung los zu sein.
Das ändert sich jetzt: Am Mittwoch kündigte die Stadt Wien an, bei vier besonders schweren Fällen selbst Anträge auf die „Durchführung von Erhaltungs- oder Verbesserungsarbeiten“ zu stellen, wie es im Paragraf 6 des Mietrechtsgesetzes heißt. Insgesamt zwölf „akute Spekulationsobjekte“ seien auf dem Radar der Behörden. Um welche Häuser es sich konkret handelt, veröffentlicht die Stadt nicht. Unternehmen dahinter sind aber auch aus der Berichterstattung von MOMENT.at und anderen Medien bekannt.

Dieses bewohnte Haus in Wien-Landstraße ist seit Jahren eine Baustelle. // Foto: A. Bachmann
„Das ist ein historischer Moment“, sagt Christian Bartok, Bereichsleiter der Wiener Mieterhilfe zu MOMENT.at. „Keine Gemeinde hat das jemals gemacht. Das ging immer von Betroffenen aus“, sagt er. Dabei steht im entsprechenden Paragrafen des Mietrechtsgesetzes schon seit Jahrzehnten unter Punkt 1: Die Gemeinden sind berechtigt, solche Anträge zu stellen. Gemacht hat es nur keine.
Soll den Druck von den Mieter:innen nehmen
Der Hauptgrund, warum Wien diesen Schritt nun doch geht: Bringt die Stadt die Anträge auf Zwangsverwaltung ein, „nimmt das den Druck von den Mieter:innen“, sagt Bartok. „Sie müssen keine Befürchtungen mehr haben, dass sie ihre Wohnung verlieren, wenn sie gegen Immobilienbesitzer:innen vorgehen.“
Dabei betont Bartok: Die Häuser unter Zwangsverwaltung zu stellen, ist erst der letzte Schritt auf dem jetzt eingeschlagenen Weg. Kommen die Immobilienfirmen den jetzt zivilrechtlich eingebrachten Anträgen auf notwendige Erhaltungsmaßnahmen nach, dann brauche es das nicht. So etwas kann „in wenigen Wochen“ erledigt sein, sagt Bartok. In dringenden Fällen könne auch ein Antrag auf Einstweilige Verfügung gestellt werden. „Dann kann es auch sehr schnell gehen“, sagt Bartok.
Entscheiden die Gerichte, die Häuser unter Zwangsverwaltung zu stellen, habe das weitreichende Folgen. „Die Zwangsverwaltung kann dann auch die Mieten einheben. Das schmerzt die Unternehmen“, sagt Bartok. Sie könne auch Darlehen aufnehmen, wenn die Mieteinnahmen nicht ausreichend sind, um Reparaturen daraus zu begleichen. Und: Zwangsverwalter:innen könnten sogar neue Mietverträge abschließen.
Verdacht auf Untreue, Betrug, kriminelle Vereinigung
Dazu kommt: In den vier besonders schweren Fällen werden auch Sachverhaltsdarstellungen bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht. Die Vorwürfe gegen die Immobilienbesitzer:innen lauten: Untreue, Betrug, Täuschung, Entziehung von Energie und kriminelle Vereinigung. Als mögliche weitere Delikte in diesem Zusammenhang nennt die Stadt: Sachwucher, Veruntreuung, Urkundenfälschung und Nötigung sowie Abgabenhinterziehung und Abgabenbetrug.

Herunterhängende Kabel, offene Leitungen. So wie in diesem Haus in Wien-Favoriten, sieht es an vielen Orten aus. // Foto: A. Bachmann
MOMENT.at besuchte im Zuge seiner Recherchen über die vergangenen Monate Dutzende Schrotthäuser und sprach mit Bewohner:innen. Was hinter den bröckelnden Fassaden abläuft, ähnelt sich: Sogenannte Immobilien-Entwickler kaufen Zinshäuser und haben große Pläne damit. Das Dach soll ausgebaut und die Wohnungen luxuriös saniert werden. Imposante Pläne und schillernde Präsentationen, wie es dort einmal aussehen soll, sind schnell erstellt. Ziel: Investor:innen anlocken und die renovierten Wohnungen teuer verkaufen oder neu vermieten. Aus Sicht von Immobilienfirmen stören Alt-Mieter:innen da eher.
Ausmieten: Ist das Haus leer, steigt der Wert
Oft beginnen rasch Bauarbeiten: Das alte Dach wird geöffnet oder ganz abgetragen, leere Wohnungen werden entkernt. Böden werden aufgestemmt. Gänge, Stiegenhaus und Hof sind bald voll mit Bauschutt, Staub und Müll. Doch irgendwann geht nichts mehr weiter. Die Häuser werden zu Dauerbaustellen.
Eine andere Methode: Die Immobilienfirma und die von ihr beauftragte Hausverwaltung kümmern sich nicht mehr darum, das Gebäude zu erhalten. Die Reinigung wird vernachlässigt, notwendige Reparaturen werden nicht erledigt. Das Licht im Stiegenhaus fällt aus oder brennt ohne Unterbrechung. Die Gasversorgung wird unterbrochen, der Kamin geschlossen. Im Hof stapelt sich Müll.
Weiter hier zu wohnen, wird für Mieter:innen schwer erträglich. Sie sollen „freiwillig“ gehen oder gegen eine geringe Zahlung ihren Mietvertrag auflösen. In der Branche nennt man das: Ausmieten. Wohnt niemand mehr in dem Haus, können Immobilienspekulant:innen es oft zu einem vielfach höheren Preis weiterverkaufen – auch wenn dessen Zustand erbärmlich ist.
„Sobald das Haus leer ist, schießt der Preis nach oben“, bringt es ein Immobilienunternehmer auf den Punkt. MOMENT.at traf ihn im August bei der Besichtigung eines Zinshauses, das zum Verkauf stand – und noch von zahlreichen Mieter:innen bewohnt wird.

Wasserflecken in der Wohnung eines Hauses in Wien-Margareten. Der Besitzer ließ es bis zur Abbruchreife verkommen. // Foto: A. Bachmann
MOMENT.at berichtete auch über ein Haus in Wien-Margareten, das vom Besitzer so weit vernachlässigt wurde, dass es nun abbruchreif ist. Wasser tropfte immer wieder von den Wänden. Für die Bewohner:innen wurde das gesundheitsgefährdend. Im Herbst 2023 wurde ein Antrag auf „wirtschaftliche Abbruchreife“ genehmigt. Es war kurz bevor eine Bauordnungsnovelle beschlossen wurde, die das in Zukunft verhindern soll. Für das Haus und seine Bewohner:innen kam das zu spät.
Sieh hier unsere Video-Dokumentation: Wir decken auf, wie Immobilieninvestoren Gebäude zu wahren Schrotthäusern verkommen lassen. Wie sie Bewohner:innen rausekeln und die Notlage armer Menschen ausnutzen.
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