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Ungleichheit

Immobilienspekulation in Wien: Wohnen in der Dauerbaustelle

Rausgerissene Fenster, offenes Dach, Schimmel. Ein Immobilienspekulant hat Pläne mit einem Haus in Wien-Favoriten. Aber nichts geht voran. Jetzt wird auch noch das Gas abgedreht. Wie lebt es sich in einem Schrotthaus?

 
 

Ratten im Hof, Tauben in der Nachbarwohnung. Seit drei Jahren steht ein Baugerüst am Haus. Die Fenster sind rausgerissen, das Dach ist offen, Schimmel überall. Ein Immobilienspekulant hat große Pläne mit einem Haus in Wien-Favoriten. Aber nichts geht voran, nur der Verfall. Und doch wohnen hier noch immer Mieter:innen. In ein paar Tagen soll ihnen das Gas abgedreht werden. Wie lebt es sich in einem Schrotthaus? Mit Video.
 

Ein Altbau-Haus in Wien-Favoriten. Davor steht ein Baugerüst. Im Wind flattert das Transparent einer Immobilienfirma. Sie hat große Pläne hier. Der Dachboden soll ausgebaut werden, unten Lokale reinkommen. Passiert ist seit drei Jahren nichts. Beziehungsweise doch: Die Fenster wurden herausgerissen, das Dach ist an einigen Stellen offen. Nur eine Plane ist darübergelegt. Gegen den starken Regen der vergangenen Wochen konnten sie wenig ausrichten.

Wir treffen einen Mann, der das Haus kennt und einen Schlüssel dafür hat. Drinnen ein Bild der Verwüstung. Im Treppenhaus decken Plastikplanen die leeren Fensteröffnungen ab, an vielen nicht einmal das. Notdürftig wurden ein paar Bretter davor genagelt. Sie wackeln, Nägel stehen hervor. “Die sind so angebracht, dass Kinder leicht daran raufklettern können. Und was passiert dann?”, sagt der Mann kopfschüttelnd.

Immobilienspekulation zulasten der Mieter:innen

Er holt ein Maßband aus der Tasche, der Fenstersims ist niedrig und das Rausfallen leicht. Neu gebaut wurden nur zwei Fahrstuhlschächte, sie sind schwarze Löcher. Bei ihnen das gleiche Bild: Ein paar Bretter stehen davor, nichts ist abgesichert. “Da ist Gefahr in Verzug”, sagt der Mann. Er möchte anonym bleiben. Aber er will zeigen, wie manche Immobilienspekulant:innen in Wien mit ihren Häusern umgehen – und mit den Menschen, die darin leben.

Video: Wie Mieter:innen in dem Haus leben müssen.

 

Denn in dem verwahrlosten Haus wohnen tatsächlich noch Mieter:innen. In den Gängen ragen aus Wänden und Decken lose Kabel. Ein gerupfter Stromzähler hängt im Gang. Wasserflecken ziehen sich von der Decke die Mauern hinunter. Mit einem Bleistift markiert der Mann deren äußere Ränder. Daneben schreibt er das Datum. “Damit ich beim nächsten Mal sehe, wie weit nach unten sich das Wasser wieder vorgearbeitet hat”, sagt er.

Die verschiedensten Arten von Schimmel bedecken die Mauern. Alles ist feucht. Geht das so weiter, ist die Substanz des Hauses gefährdet, erklärt er. Überall in den Gängen liegt Schutt. Der Wind pfeift durchs Haus, viele Wohnungen stehen leer und offen, sind verdreckt. Tauben haben sich eingenistet.

Im Haus das Chaos, in der Wohnung Gemütlichkeit

Doch vor einigen der Wohnungstüren liegen saubere Fußmatten und stehen Schuhe. Der Mann klopft an einer davon. Neben der Tür öffnet eine Person ein kleines Guckfenster. Sie kennt den Mann und begrüßt ihn herzlich. Dann öffnet sie uns. Hinter ihr offenbart sich eine hübsch eingerichtete Wohnung, sauber und gemütlich. Der Gegensatz zum verwahrlosten Rest des Hauses könnte nicht größer sein. Wie viele andere im Haus, wohnt sie schon seit Jahrzehnten hier. Mehr wollen wir nicht über sie verraten – um sie zu schützen.

„Es ist schlimm. Ich hätte nicht gedacht, dass uns das einmal passiert“, sagt sie zu dem, was hier seit drei Jahren vor ihrer Wohnungstür abläuft. Sie erzählt von Ratten, die über den vollgestellten Hof huschen und die übervollen Mülltonnen durchstöbern. Ab und an quartiert die Baufirma in den verdreckten Wohnungen Wanderarbeiter ein. Danach quellen die Mistkübel über. “Ich rufe dann selbst bei der MA 48 an und sie holen sie ab. Sonst passiert das nicht“, sagt sie. “Ich bin hier quasi Hausbesorger.”

Wenn Wind ist, dann pfeift es im ganzen Haus, ganz laut.
Bewohner:in

In ein paar Tagen soll es noch schlimmer werden, erzählt sie. Die Kamine im Haus sollen geschlossen und das Gas abgedreht werden. “Wir konnten das nicht verhindern. Ich möchte mal wissen, wer das genehmigt hat”, sagt sie. Die Baupolizei sah offenbar kein Problem darin. Wenn das Gas nicht mehr da ist, soll alles mit Strom laufen: Heizung, Wasser erhitzen und Kochen. “Die wollen das einfach anstecken”, sagt die Frau. Der Mann neben ihr schüttelt den Kopf. “Das kann nicht funktionieren. Die Stromkreise in den Wohnungen werden überlastet, hundertprozentig”, sagt er. Im schlimmsten Fall brennen die Leitungen durch.

Die Fenster in den Gängen seien schon vor zwei Jahren rausgerissen worden. “Wenn Wind ist, dann pfeift es im ganzen Haus, ganz laut“, sagt die Person im Türstock ihrer Wohnung stehend. “Die Fenster waren erst fünf Jahre alt und top in Schuss”, sagt sie. “Das wäre überhaupt nicht notwendig gewesen.” Anderswo im Haus sieht es nicht besser aus: Das Ladenlokal unten ist völlig entkernt. Drinnen sind Säcke mit Estrich und Füllbeton aufgestapelt.

Das Schrotthaus hatte schon viele Besitzer:innen

“Ich weiß nicht, was da los ist. Haben die kein Geld mehr?”, fragt sie sich. Wer die Besitzer des Hauses sind, wer die ausführende Baufirma ist, darüber verliert sie langsam den Überblick. Kein Wunder: “Schon drei unterschiedliche Firmen haben das Haus gekauft in den vergangenen Jahren.” Einer der früheren Besitzer habe ihr ein Angebot gemacht. “Die wollten uns 15.000 Euro geben, wenn wir ausziehen.” Sie hat dann Nein gesagt.

Aus der Wohnung hat sie mit viel Liebe und Fleiß ein Schmuckkästchen gemacht. Eigentlich wollte sie jetzt ihr Leben genießen. Viel reisen und dann wieder heimkommen in ihr Nest. Das ginge jetzt nicht. “Wir können nichts planen. Die Baufirma gibt drei Tage vorher Bescheid, wann sie vorbeikommen”, sagt sie. Und sie wisse dann gar nicht: Wollen die nur schauen oder etwas in der Wohnung bauen. Vor ein paar Tagen kam jemand vorbei und meinte, jetzt fangen sie richtig an. Für sie klang das fast wie eine Drohung.

Die Bauarbeiten gehen seit ewigen Zeiten nicht voran. Alle paar Wochen wird irgendwo einmal Hand angelegt. In dem Moment hört man aus dem Keller Stimmen und wie jemand mit einer Schaufel über den Boden scharrt. Die Arbeiter räumen Schutt heraus. Scheibtruhe für Scheibtruhe. Sie tragen keine Arbeitskleidung. Zu welchem Unternehmen sie gehören, ist nicht zu erkennen. Einer läuft vorbei. An der nächsten Ecke bleibt er stehen und schaut uns an.

Anzeigen wurden gestellt – und nichts passierte

“Gibt’s ein Problem?”, ruft der Mann ihm zu, der uns das Haus zeigt. Der Arbeiter verschwindet wieder. Der Mann warnt davor, das Gespräch mit den Bauarbeitern zu suchen. “Man weiß nie, sie könnten aggressiv reagieren”, sagt er. Dabei tun sie ihm auch leid. Wenn sie im Haus werkeln, müssten sie in einer der leerstehenden Wohnungen übernachten. Die sind nur mit dem Notwendigsten eingerichtet: einer Spüle im Vorzimmer, das Klo am Gang. Ein umgeworfener Kleiderkasten dient als Tisch. Und überall ist Schimmel an den Wänden.

“Unter solchen Umständen sollte niemand hausen müssen”, sagt der Mann. Ein Anschlag der zuständigen Magistratsabteilung der Stadt Wien verrät: Die Genehmigung für das Baugerüst ist abgelaufen. Zahlreiche Anzeigen bei der Baupolizei wurden bereits gestellt. Nicht nur hier, auch in anderen Häusern des Immobilien-”Entwicklers”. Passiert sei nichts. Warum? Der Mann macht nur eine Geste: Er hebt die Hand und reibt Daumen und Zeigefinger aneinander.

 

 

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