Keywan Riahi: “Es ist wichtig, dass alle Länder der Welt zusammenkommen und versuchen, das Problem gemeinsam zu lösen.”
MOMENT.at: Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Zivilgesellschaft verhandelten gerade in Baku in Aserbaidschan auf der Weltklimakonferenz. Waren Sie auch dabei?
Keywan RIAHI: Nein, ich bin dieses Mal nicht hingefahren, aber drei Kolleginnen aus meiner Gruppe beim IIASA (International Institute for Applied Systems Analysis, Anm.) waren vor Ort. Ich halte es auch für wichtig, an der Weltklimakonferenz teilzunehmen.
MOMENT.at: Es ist also kein Statement, dass Sie nicht vor Ort waren?
Riahi: Nein. Es kommt immer darauf an, welche Themen bei welcher COP wichtig sind. Diesmal geht es vor allem um die Finanzierung und die Finanzierung der Entwicklungsländer. (Anmerkung d. Red.: Riahi ist hingegen Energie-Experte.)
MOMENT.at: Es gibt jedoch viel Kritik an der Konferenz. Auf der Konferenz soll der Ausstieg aus fossilen Energieträgern wie Öl und Gas geplant werden – in einem Land, dessen Wohlstand auf Fossilen beruht und dessen Präsident Öl und Gas ein „Geschenk Gottes“ nennt. Passt das zusammen?
Riahi: Ein Auswahlverfahren nach bestimmten Qualitätskriterien wäre eine Verbesserung. In Glasgow und Paris haben wir gesehen, dass wir etwas bewegen können, wenn das Veranstalterland dahinter steht. Dementsprechend ist die Präsidentschaft wichtig.
Aber der Veranstaltungsort rotiert. Dabei gibt es immer ein Tauziehen. Dass die Konferenz auch in Ländern ist, in denen der Wohlstand auf Ölexporten basiert, finde ich wichtig. Einerseits müssen sie Teil der Lösung sein. Andererseits muss man das Ergebnis betrachten. Das war aus meiner Perspektive beispielsweise bei der letzten COP in den Arabischen Emiraten durchaus positiv. Es hätte natürlich noch besser sein können und man kann keinesfalls zufrieden sein mit dem, was auf internationaler Ebene gerade passiert. Dass das nur am Veranstaltungsland liegt, bezweifle ich.
MOMENT.at: Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass zu wenig beschlossen wird. Manche gehen so weit zu sagen, dass die Klimakonferenz, so wie sie ist, nutzlos ist.
Riahi: Es hätte zum Beispiel das Pariser Abkommen und das gemeinsame Klimaziel nicht gegeben ohne die COPs. Ich halte es für unglaublich wichtig, dass wir einen institutionalisierten, formalen Prozess haben, wo alle Länder dieser Welt sich einmal im Jahr treffen, um den Fortschritt bei der Emissionsvermeidung und der Klimaanpassung zu besprechen. Es ist wichtig, dass alle Länder der Welt zusammenkommen und versuchen, dieses Problem gemeinsam zu lösen.
MOMENT.at: Und trotzdem passiert nicht genug.
Riahi: Ja. Es ist sehr schwer, einen Konsens zu finden. Weil es unterschiedliche Verantwortlichkeiten gibt und die Gewinner und Verlierer in unterschiedlichen Ländern liegen. Man muss überlegen, wie man diese Transformation so organisieren kann, dass sie mehr oder weniger für alle Vorteile bringt. Das ist ein wichtiges Thema unserer Zeit und auch auf der Konferenz dieses Jahr.
Es geht in diesem Jahr nämlich darum, inwiefern die reichen Industriestaaten ärmere, vulnerablere Länder finanziell unterstützen, um die notwendigen Emissionen zu vermeiden. Die haben den Standpunkt, dass sie das Problem nicht verursacht haben und sich noch entwickeln müssen, weswegen sie weiterhin Emissionen verursachen werden. Gleichzeitig führen ihre eigenen Emissionen zu großen Schäden.
Kurzum: Wir haben eine wirklich komplexe und teilweise auch verfahrene Situation, weswegen es so wichtig ist, dass die Länder sich weiterhin treffen. Dass sie diskutieren und schauen, wer kann wem helfen. Das Traumergebnis dieser COP wäre natürlich, wenn sich die Staaten auf einen Schlüssel einigen, wie die reichen Industriestaaten den Entwicklungsländern helfen können.
MOMENT.at: Man hatte sich bereits 2009 auf 100 Milliarden US-Dollar geeinigt, die die reichen Industriestaaten an ärmere Länder zahlen sollten. Funktioniert hat das lange Zeit nicht. Wieso werden die Einigungen nicht umgesetzt?
Riahi: Ich würde das nicht verallgemeinern. Ja, es hat sehr lange gedauert, bis diese 100 Milliarden tatsächlich auch zur Verfügung gestanden sind. Die Verhandlungsteams verhandeln ein Ergebnis, mit dem alle auf der Konferenz zufrieden sind. Sie gehen dann nach Hause, um das Ganze im eigenen Land in die Tat umzusetzen. Das ist manchmal schwer. Ich bin aber überzeugt, dass die Bereitschaft, dort zu helfen, wo tatsächlich auch Hilfe notwendig ist, über die letzten Jahre gewachsen ist.
Es braucht jedenfalls ein Monitoring, das wirklich sicherstellt, dass die Unterstützung ankommt und sehr klare Regeln, wie dieses Geld wo eingesetzt werden kann. Ich würde es aber nicht so pessimistisch sehen, dass die Hilfe nicht ankommt.
Es ist der falsche Zeitpunkt, um aufzugeben.
MOMENT.at: Nicht alle sind so optimistisch. Wissenschaftler:innen, darunter Ihr Kollege am IIASA, Hans Joachim Schellnhuber, haben einen offenen Brief unterzeichnet und fordern eine Reform der Klimakonferenz. Braucht es das?
Riahi: Eine Reform der Klimakonferenzen wäre nützlich, ja. Ich glaube, es geht in den Konferenzen zu oft um nationale Interessen, die nicht so sehr übereinstimmen mit der Bevölkerung der Länder beziehungsweise allen Bevölkerungsgruppen.
Klar ist für mich aber, dass es Klimakonferenzen braucht. Auch wenn die Emissionen nicht so zurückgehen, wie wir uns das wünschen, hätte es ohne die COPs und das Pariser Abkommen nicht jenen Innovationsschub gegeben, den wir in den letzten Jahren gesehen haben.
Photovoltaik-Zellen kosten noch ein Zehntel dessen, was sie vor zehn Jahren gekostet haben. Dasselbe gilt für Windenergie, Elektroautos, ihre Batterien. All diese Innovationen sind nur möglich, weil Klimapolitik inzwischen Mainstream ist und eine Industrie daraus entstanden ist.
Auch, wenn man nicht zufrieden sein darf mit dem Fortschritt und mit den Versprechen der Länder, die dann nicht in Gesetze gegossen werden, darf man nicht vergessen, dass sich viel weiterbewegt hat. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Menschen sehr frustriert sind. Dass viele glauben, das Problem können wir nicht lösen. Doch wenn die Aussichten so negativ sind, resignieren die Menschen. Und es ist der falsche Zeitpunkt, um aufzugeben.
Man muss die Fortschritte sehen, auch wenn man nicht damit zufrieden sein muss oder sein darf.