Die Sehnsucht nach dem „Wunderwuzzi“: Boulevard und das Kurz-Comeback

Besonders vehement ertönen die Rufe nach Kurz aus dem Boulevard-Lager. Wolfgang Fellner von oe24 plädiert leidenschaftlich für eine Rückkehr des Ex-Kanzlers, während Paul Ronzheimer von der Bild-Zeitung von einer möglichen „Polit-Sensation 2025“ schwärmt. Auch Christoph B. Schlitz kommentiert in der Welt: „Österreichs Krise: Die Zeit ist reif für ein Comeback von Sebastian Kurz“.
Laute Rufe aus dem Boulevard
Medienmänner, die ihren Wunsch nach Sebastian Kurz mit erstaunlicher Lautstärke äußern. Das wirft Fragen nach dem Motiv auf, die Wolfgang Fellner in einem kürzlich erschienenen Kommentar für oe24 vom 3. Januar 2025 selbst beantwortet:
Die ÖVP hätte nur eine Chance, politisch zu überleben, wenn Sebastian Kurz zurückkommt. Kurz könnte laut Fellner das schaffen, „was Trump in den USA gelungen ist – ein völlig überraschender Wahlsieg“.
Wie hat Trump das geschafft? Er hat kritische Medien als „Fake News“ gebrandmarkt und gleichzeitig die ihm “loyalen” Medien mit exklusiven Informationen und Interviews belohnt. Das hat in den USA zu einer stark polarisierten Medienlandschaft geführt. Fellner scheint in Kurz das Potenzial für eine ähnliche Dynamik in Österreich zu sehen. Ein Comeback von Kurz könnte bestimmten Medien eine privilegierte Position in einem System verschaffen, das wohlwollende Berichterstattung mit politischem Einfluss und lukrativen Inseraten belohnt.
Was war da nochmal mit der Inseratenaffäre?
Die Inseratenaffäre führte unter anderem im Oktober 2021 zu Kurz’ Rücktritt als Bundeskanzler. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelte unter anderem gegen Kurz, die Boulevardblätter der Familie Fellner sowie die Kronen Zeitung und Heute. Der Verdacht: Durch großzügige Anzeigen soll wohlwollende Berichterstattung über Sebastian Kurz erkauft worden sein. Ob gegen Recht verstoßen wurde, müssen die Gerichte noch klären. Klar ist aber, dass gewisse Medien unter Sebastian Kurz besonders profitierten.
Das „Worst-of“ der ÖVP-Chats findest du hier.
Die Hoffnung auf alte Zeiten
Während Kurz‘ Amtszeit als Bundeskanzler profitierten insbesondere Boulevard-Blätter erheblich von Inseratengeschäften. Das Werbebudget des Finanzministeriums wurde nach Kurz‘ Übernahme der ÖVP im Frühjahr 2017 vervierfacht, wobei ein Großteil der Gelder an den Boulevard floss.
Eine Studie der Universitäten Wien und Fribourg/Freiburg belegt zusätzlich, dass Kurz nach den mutmaßlichen Absprachen ab 2016 im Onlinemedium OE24 zwischen 50 und 100 Prozent häufiger erwähnt wurde, als statistisch zu erwarten gewesen wäre.
Kurz bringt Klicks
Zudem bringt Sebastian Kurz Auflagen und Klicks. Seine polarisierende Persönlichkeit und sein medienwirksames Auftreten garantieren hohe Leser:innenzahlen und Werbeeinnahmen. Ein Kurz-Comeback wäre für ein regelrechter Goldesel.
Sensationsheischende Schlagzeilen über Kurz‘ Rückkehr würden die Verkaufszahlen in die Höhe treiben. Die zu erwartenden politischen Kontroversen um seine Person liefern Stoff für endlose Berichterstattung und Kommentare. Exklusive Interviews und „Insider-Berichte“ aus Kurz‘ Umfeld versprechen hohe Klickzahlen auf Online-Portalen. Die Polarisierung der Gesellschaft durch Kurz‘ Politik heizt Diskussionen an und bindet Leser:innen langfristig. Außerdem geht die Aufmerksamkeit rund um Sebastian Kurz über Landesgrenzen hinaus. Das erhöht auch die Relevanz des jeweiligen Mediums.
Außerdem genossen bestimmte Journalist:innen privilegierten Zugang zum inneren Zirkel um Sebastian Kurz. Ein prominentes Beispiel hierfür ist Paul Ronzheimer, Chefreporter der BILD-Zeitung. Ronzheimer erhielt exklusive Einblicke in Kurz’ Leben. Er verfasste sogar eine Biografie über ihn, die sehr wohlwollend ausfiel.
Kurz ist für den Boulevard also nicht nur wegen möglicher lukrativer Inserate attraktiv, sondern auch als Garant für Auflage und Reichweite – unabhängig der journalistischen Qualität oder ethischer Bedenken. Diese Dynamik erklärt die schmerzfreie Bereitschaft mancher Medien, für ein Kurz-Comeback journalistische Grundsätze über Bord zu werfen.
Vom Wunderwuzzi zum juristischen Albtraum
Sebastian Kurz steckt bis zum Hals in juristischen Problemen und Verfahren. Am 23. Februar 2024 wurde er vom Wiener Landesgericht wegen Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Kurz bei der Bestellung des Aufsichtsrats der Staatsholding ÖBAG einen größeren Einfluss ausgeübt hatte, als er vor dem Ausschuss eingeräumt hatte. Kurz hat dagegen Berufung eingelegt – das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Das ist nicht alles. Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch wegen Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung gegen ihn. Natürlich gilt die Unschuldsvermutung. Doch das sind keine Lappalien, sondern schwerwiegende Vorwürfe, die ihn eben als Bundeskanzler haben zurücktreten lassen.
Aus der politischen Landschaft Österreichs sollte Kurz damit praktisch verbannt sein. Ein Comeback erscheint unter diesen Umständen nicht nur unwahrscheinlich, sondern geradezu absurd. Österreich sollte aus den Erfahrungen mit Kurz gelernt und kein Interesse daran haben, jemanden mit solch einer juristischen Hypothek erneut in eine Verantwortungsposition zu hieven. Auch die Medien, die selbst davon profitieren könnten.