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Demokratie

Stellungnahme zum Angriff der Neos auf MOMENT.at und die Berichterstattung im Standard

Stellungnahme zum Angriff der Neos auf MOMENT.at und die Berichterstattung im Standard
Die Neos greifen MOMENT.at mit falschen Vorwürfen an. Der Standard greift das auf und wiederholt ihren Spin. Chefredakteur Tom Schaffer nimmt Stellung.

Liebe Leser:innen von MOMENT.at,

es ist fast schon eine Tradition im österreichischen Polit-Wesen, dass neoliberale und rechte Parteien einmal im Jahr die Finanzierung der Interessensvertretung der Arbeitnehmer:innen attackieren. Bei den Attacken gegen die Arbeiterkammer wird regelmäßig auch das Momentum Institut in den Fokus genommen, weil die AK in den vergangenen Jahren Spendenbeiträge zu unserer Finanzierung geleistet hat.

Die rechte, neoliberale und konservative Politik scheint der Meinung zu sein, sie solle der Interessensvertretung der Arbeitnehmer:innen vorschreiben, wie sie ihr Geld einzusetzen hat. Das wird politisch in den kommenden Monaten insbesondere relevant sein, weil die wirtschaftspolitisch sehr kompatiblen, Unternehmens-nahen Parteien FPÖ, ÖVP und Neos eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat haben. Mit der könnten sie diesen Einfluss besonders schwerwiegend machen, falls die Neos der Blau-Schwarzen Regierung den Steigbügelhalter spielen. Aber das nur am Rande.

Wie jedes Jahr nutzen heimische Medien diese politischen Attacken, um sich selbst zu profilieren. Egal ob bewusst oder unbewusst: Wenn rechte Parteien hartnäckig behaupten, die Medien seien zu links, dann ist es gut für das eigene Image, deren Attacken auf progressive Institutionen und Organisationen auch gelegentlich mitzuspielen. Als unabhängige, kritische Journalist:innen übernehmen sie deshalb diese durchsichtige Kritik der politischen Parteien eins zu eins, heben sie in die Titelzeile, wiederholen alle Talking Points, die die Partei setzen will, holen sich noch eine Stellungnahme von uns für den letzten Absatz dazu und tun dann so, als wäre das Journalismus. Als hätten sie damit die Themensetzung und das Spiel der entsprechenden Partei nicht einfach nur voll mitgespielt.

Für uns ist das nach fünf Jahren leider nicht mehr neu. Wir warten eigentlich jährlich nur noch auf den Zeitpunkt und fragen uns, wer diesmal die handelnden Personen sein werden. Aber für manche von euch Leser:innen ist es vielleicht schon neu und wirft Fragen an uns auf. Deshalb möchte ich hier kurz erklären, was es dazu zu erklären gibt.

Angriffe auf Medienfreiheit

Dieses Jahr war es die Chefin der Neos, Beate Meinl-Reisinger. Sie störte sich offenbar massiv an Artikeln von MOMENT.at und der Tatsache, dass sie – auch über Werbung – weit verbreitet waren.

Deshalb postete sie – erst auf auf der Plattform X des rechtsradikalen Elon Musk und deutlich später auch auf Bluesky – die Behauptung, hier würde mit Mitteln der Arbeiterkammer „Dirty Campaining“ gegen die Neos betreiben.

Das Medium, das dem eine eigenartige besondere Bedeutung beimaß und sofort für einen Artikel los recherchierte, war diesmal der Standard.

Ich möchte hier klar festhalten: Die Behauptung von Beate Meinl-Reisinger ist einerseits natürlich falsch und sollte in dieser Form keinen Platz in einem Qualitätsmedium finden. Und andererseits ist die Taktik einer demokratischen Partei nicht würdig.

Neos reagieren bei Kritik wie Rechte

Was ist wirklich passiert? Die Neos haben in den vergangenen Monaten versucht, eine Regierung zu bilden. Dabei wollten sie unter anderem die Pensionen und die Gehälter der öffentlich Bediensteten kürzen. Außerdem sind sie als erste Partei aus den Regierungsverhandlungen mit SPÖ und ÖVP ausgetreten – wohl wissend, dass eine rechtsradikale Regierung aus FPÖ und ÖVP unter einem Kanzler Herbert Kickl die Alternative dazu war.

Das sind Dinge, die man als politische Partei in einem demokratischen System machen kann. Es sind auch Dinge, die Journalismus in einem demokratischen System an einer Partei kritisieren darf, kann und sollte. Als ausdrücklich progressives Medium, das stets die Interessen der Vielen im Blick behält, die in ihrem Leben auf gute Löhne, staatliche Leistungen und Pensionen angewiesen sind, hätten wir nicht für überraschend gehalten, dass wir das tun. Die Neos bezeichnen diesen normalen, notwendigen Journalismus nun aber als „Dirty Campaigning“. Der Standard wiederholt diesen Vorwurf – und das auch noch ohne eigenen Widerspruch.

Standard war bei „Scheissblattl“-Sager sensibler

Das ist etwas lustig. Denn ausgerechnet der Standard hat erst vor wenigen Tagen die Unterstützung aller Journalist:innen und Medien in Österreich gegen einen ähnlichen Angriff geradezu eingefordert. Er hat das auch genutzt, um eine Kampagne für seine eigene Finanzierung als profitorientiertes Medium zu starten und sich als Garant der Demokratie zu inszenieren.

Anlass dafür war, dass der Chef der Wiener FPÖ den Standard – ebenfalls auf der Musk-Plattform „X“ – mit dem Begriff „Scheissblatt“ bedacht hatte und seine Presseförderung infrage stellte. Eine autoritäre Entgleisung, bei der wir dem Standard die volle Unterstützung zusagen.

Eine Presseförderung bekommen wir als MOMENT.at allerdings gar nicht. Denn diese Unterstützung für Medien ist in Österreich so aufgesetzt, dass sie vor allen profitorientierten Medien wie dem Standard dient. Darüber wird noch an anderer Stelle zu diskutieren sein.

Momentum ist progressiv, gemeinnützig und spendenfinanziert

Wir sind als Momentum Institut allerdings kein profitorientierter Medienverlag, der von Presseförderung, Inseratekund:innen und Bezahlschranken lebt. Wir sind ein unabhängiger, gemeinnütziger Verein. Dieser Verein und damit auch das Medium ist eigenständig. Wir gehören weder Banken noch Parteien noch Superreichen. Das ist ein Unterschied zu praktisch allen anderen Medien in Österreich. Der gemeinnützige Verein wird von bereits über 4.000 Spender:innen finanziert, die unsere Arbeit möglich machen. Welche das sind, das weisen wir seit jeher in Transparenzberichten jährlich aus. Viele von euch sind bereits Spender:innen und wissen das. (Wer es noch nicht ist, hat vielleicht jetzt einen Grund mehr, es zu werden.)

MOMENT.at ist das unabhängige Online-Medium und ein Teil dieses Vereins. Wir finden, die Öffentlichkeit verdient offenen Zugang zu Qualitäts-Journalismus. Unsere Arbeit machen wir deshalb frei zugänglich und verstecken sie nicht hinter Bezahlschranken. Wir umgeben sie nicht mit Artikeln, die schwer erkennbare bezahlte Einschaltungen sind. Wir verkaufen die Daten unserer Leser:innen auch nicht an die Werbeindustrie.

Wie MOMENT.at die Eigenständigkeit sichert

Die Redaktion von MOMENT.at arbeitet, wie es sich für guten Journalismus gehört, eigenständig. Wir sind in unserer Arbeit mehrfach gegen Einflüsse von außen abgesichert.

Erstens nimmt unser ganzer Verein prinzipiell kein Geld, das an Bedingungen und Einfluss geknüpft ist. Auch grundsätzlich kein Geld von Parteien. Auch der Forschungsbereich macht keine Auftragsforschung. Und das gilt selbstverständlich auch für die Spendenbeiträge der Arbeiterkammer. Auch damit ist keine Mitsprache in unserem Verein und unserer Redaktion verbunden. Dass man als Vertretung der Arbeitnehmer:innen einen Sinn darin sieht, ein progressives Medium zu unterstützen, dass die Interessen der Arbeitnehmer:innen in seiner Berichterstattung immer als wichtige Perspektive mitdenkt, scheint naheliegend.

Aber darüber kann ich an dieser Stelle ehrlicherweise nur spekulieren. Denn: Zweitens. Es kümmert sich die Geschäftsführung und eigenes Fundraising-Personal um die Finanzierung unseres Vereins. Mich und mein Team beschäftigen solche Erwägungen folgerichtig und richtigerweise nicht. Die Aufgabe ist ebenso wenig in der Redaktion angesiedelt, wie der Anzeigenverkauf Teil oder Aufgabe der Standard-Redaktion ist. Qualitätsmedien trennen diese Aufgaben.

Drittens hat unsere Redaktion das durch ein Redaktionsstatut abgesichert – eine weitere Brandmauer zwischen diesen Bereichen. Ein Qualitätsmerkmal für eine Redaktion. Der Standard hatte bis vor kurzem keines, aber als 1986 gegründete Zeitung immerhin Ende 2023 eines beschlossen. Seit 2023 wird zufälligerweise auch mehr “Qualitätsjournalismusförderung” ausgezahlt, wenn man eines hat. Die kriegen wir nicht, das Statut haben wir trotzdem. In unserem steht: Alle redaktionellen Entscheidungen innerhalb der Blattlinie trifft die Redaktion unter der Leitung eines Chefredakteurs – das bin ich.

Viertens, gibt es auch eine interne Vielfalt bei uns. Die Kritik von Meinl-Reisinger richtet sich gegen Meinungsartikel auf MOMENT.at – einmal von einer unserer Journalist:innen, einmal von einer externen Kolumnistin. Diese Leute sind in ihrer Meinung bei uns frei. Es ist aber kein purer Zufall, dass sie für ein progressives Medium arbeiten.

Neoliberale Zurufe als journalistischen Auftrag hinterfragen

Der Standard ist das wichtigste liberale Medium in Österreich und eines von denen, das ohne perfekt zu sein trotzdem noch am meisten auf journalistische Qualität achtet. Es ist deshalb umso überraschender, das ausgerechnet aufgrund eines Artikels im Standard erklären zu müssen: Aber als Journalist:innen üben wir auch Kritik an Parteien. Andere Qualitätsmedien sollten das eigentlich instinktiv verstehen.

Man frage sich nur: Wäre derselbe Vorwurf etwa von Herbert Kickl oder Sebastian Kurz statt Beate Meinl-Reisinger ausgegangen, wäre der STANDARD gleichermaßen darauf eingestiegen und hätte ähnlich unkritisch den Spin übernommen? Oder hat der laut seiner Blattlinie liberale Standard gegenüber einer liberalen Partei einen unsichtbaren Fleck, was die Medienfreiheit anbelangt?

Noch ein Wort zur Werbung

Anders als bei anderen Medien ist völlig klar nachvollziehbar, wie sich MOMENT.at finanziert.

Auch kann man gut nachvollziehen, wie effizient wir unser Budget einsetzen. Es fließt nachweislich fast ausschließlich in Personal und damit in unsere Kernarbeit als Medium. Die Millionen Menschen, die wir mit unseren Inhalten jährlich erreichen, erreichen wir zum Großteil über organische Reichweite – weil Leute Artikel, Grafiken und Videos unter Freund:innen teilen und wir eigene Kanäle auf Sozialen Netzwerken dafür nutzen. 

Ein kleiner Teil des Budgets wird auch dafür eingesetzt, um mit unserem Journalismus neue Menschen zu erreichen. Ende des vergangenen Jahres haben wir begonnen, dafür die Plattform “Taboola” auszuprobieren. Die kennen die meisten Menschen nicht, deshalb eine kurze Erklärung: Über diese Plattform bieten auch fast alle österreichischen Medien Werbeflächen an. Man schaltet aber keine grafischen Werbebanner, sondern Links auf Artikel der eigenen Webseite. Die werden dann unterhalb der Artikel des Mediums angezeigt.

In diese Liste kommen standardmäßig all unsere veröffentlichten Artikel rein. Was wo dargestellt wird, passt sich alles automatisch an. Die Plattform berechnet, welche Links wo viel geklickt und günstig verbreitet werden können das tut sie dann. Einer der Kommentare, der sich kritisch mit der Politik der Neos auseinandersetzte, ging offenbar recht gut. Ehrlich gesagt haben wir das auch erst festgestellt, nachdem sich die Neos-Chefin öffentlich darüber beschwerte. Wir haben dafür aber weder gezielt die Neos-Artikel ausgewählt noch gezielt bei einem speziellen Medium geworben.

Es ist anzunehmen, dass auch der Standard derartiges für seine Inhalte tut. Was er ganz sicher tut: solche Werbeflächen auf Taboola anzubieten und auch unsere Werbung auszuspielen. Das belegt ein Blick in unsere Statistik (und diese Presseankündigung von Taboola, in der die Zusammenarbeit mit dem Standard angekündigt wird). Diese für Medien völlig normale Vorgehensweise skandalisieren nun die Neos und der Standard spielt mit.

Widerspruch halten wir jederzeit aus und begrüßen wir. Aber weder journalistische Kritik noch die sinnvolle Verbreitung der eigenen Inhalte hat es verdient, politisch motiviert als „Dirty Campaigning“ diffamiert zu werden. Die Presse- und Meinungsfreiheit als wichtiges Recht von Bürger:innen und Medien in einer Demokratie ist nicht nur gegen die allgegenwärtige Bedrohung der extremen Rechten und offensichtlicher Demokratiefeinde zu verteidigen, sondern auch gegen Parteien, die sich sonst gerne als Verteidigerinnen verkaufen wollen.

Unterstütze MOMENT.at

Eine rechtsradikale Regierung vor den Toren der Macht und der allgegenwärtige neoliberale Mainstream sind eine Bedrohung für die Interessen der Vielen. Und auch für progressive Magazine, die dagegenhalten und selbst zum Ziel von Angriffen werden. Wir bei MOMENT.at sind diesen Gefahren auch ausgesetzt. Unsere Arbeit finanziert sich über Spenden. Wir brauchen deshalb gerade jetzt deine Hilfe, um sie abzusichern. Wenn du es dir leisten kannst, denk doch bitte darüber nach, Unterstützer:in von Momentum zu werden. Jeder Euro hilft.

 

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    Kommentare 2 Kommentare
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  • 7080Pippi
    27.01.2025
    Danke für die fundierte Klarstellung.
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  • frizzdog
    22.01.2025
    die pseudoreligiöse weltanschauung des politischen libertarismus führt perverserweise in letzter konsequenz immer zur inquisition - in einer art umkehr des eigenen ansatzes - weil sie sich sonst in ihrer eigenen unordnung verliert :-)
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