Kapitalismus

Zwangsversteigerung nach Immo-Pleite: Ein Haus kommt vor Gericht

Eine Immo-Firma ist pleite, eines ihrer Häuser wird zwangsversteigert. Im Bezirksgericht Hernals steigt ein Bieterbewerb. Manchmal amüsant, aber bitterernst für die Bewohner:innen. Mit dem alten Besitzer war es eine Tortur. Tage nach der Versteigerung wird in Wohnungen eingebrochen.

Pünktlich ertönt ein Ton und eine Ansage über die Lautsprecher: “Zwangsversteigerung Saal D“, sagt eine Frauenstimme. Es ist 10 Uhr an einem Donnerstag im März im Bezirksgericht Hernals in Wien. Ein halbes Dutzend Personen erheben sich von den im Gang aufgereihten Sesseln und treten in den kleinen Gerichtssaal. 

Der Richter grüßt in die Runde und fragt: „Wer will mitbieten? Ich nehme an, die Bank?“ Er schaut nach rechts, wo sich an dem quergestellten Tisch sonst Vertreter:innen von Verteidigung oder Anklage niedersetzen. Aber das ist heute keine Strafsache. Zwei Vertreter:innen einer Raiffeisenbank haben dort Platz genommen – zur Zwangsversteigerung “ihres” Hauses.

Der näher am Richterpult sitzende Bank-Manager mit feinem Anzug nickt. Es ist ein Haus, deren Kauf und „Entwicklung“ seine Bank finanziert hat. Und es ist eine Zwangsversteigerung, die sie selbst angestrengt hat. Denn das mit der „Entwicklung“ des Gebäudes hat nicht recht geklappt.


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Die besitzende Firma schuldet der Bank laut Grundbuchauszug 2,7 Millionen Euro. “In Wahrheit ist noch viel mehr offen”, sagt die Frau, die am Tisch auf der Gegenseite Platz genommen hat. Sie ist die Masseverwalterin des Unternehmens, dem das Haus noch gehört – und in ein paar Minuten nicht mehr. Sie kennt die meisten Zahlen gut. Den Besitzer des Pleite gegangen Unternehmens, um dessen Abwicklung sie sich seit Monaten kümmert, „habe ich aber nur einmal gesehen“, sagt sie später zu MOMENT.at.

Pleite an Pleite im verzweigten Immo-Reich

Die Sveta Management Holding GmbH musste im Dezember vergangenen Jahres Insolvenz anmelden. Bis kurz vorher hieß sie noch N.M.Y. Beteiligungs- und Immobilienverwertungs GmbH. Es war eines von Dutzenden Unternehmen im weitverzweigten Reich der Sveta Group. 

Zahlreiche Firmen der Gruppe mussten im Laufe des vergangenen Jahres die Pleite vermelden – auch die Sveta Group selbst ging insolvent. Das Firmen-Konglomerat hat zweimal seinen Sitz in Wien gewechselt. Es ging von der Singerstraße im 1. Gemeindebezirk an eine Adresse im 2. Bezirk und von dort an den neuen Sitz am Rennweg im 3. Bezirk. 

„Es ist ein Wahnsinn momentan“, sagt der Richter hinter seinem Pult und meint damit die Vielzahl von Zwangsversteigerungen, die er hier aktuell moderieren muss. Bei der letzten sei es so voll gewesen, dass der Sauerstoff knapp wurde, sagt er. Für den nächsten Tag ist an gleicher Stelle bereits die nächste Versteigerung angesetzt: Auch hier ist es ein Haus der Sveta Management Holding. Wieder hat eine Bank die Zwangsversteigerung angestrengt, um Außenstände hereinzubekommen. Wieder ist es eine Raiffeisenbank. Und wieder liegt es an derselben Masseverwalterin, den ganzen Schlamassel abzuwickeln.

Erst der Papierkram, dann die Gebote

Zwei weitere Interessenten melden sich: Eine Privatstiftung hat gleich drei Vertreter:innen zum Termin geschickt. Der Geschäftsführer eines Immobilien-Unternehmens ist ohne Begleitung da. Alle füllen nun Formulare aus, in denen sie ihr Kaufinteresse bekunden. Und sie zeigen dem Richter ein sogenanntes Vadium vor. Das soll belegen, dass sie über mindestens 10 Prozent des geschätzten Werts verfügen und diese als Sicherheit hinterlegen können, sollten sie den Zuschlag erhalten. Frei nach dem Motto: Da könnte ja jede:r kommen und einfach ein Haus ersteigern.

Um 10:13 Uhr ist der Papierkram erledigt, es geht los mit der Versteigerung. Der Richter erklärt, worum es geht: Ein Eckhaus entlang der Thaliastraße im 16. Bezirk. Grundstücksfläche: 568 Quadratmeter, Nutzfläche des dreistöckigen Hauses: 1.492 Quadratmeter. Unten Geschäftslokale. Die Wohnungen darüber vermietet. Wert des Hauses laut Gutachten: 4 Millionen Euro. Bieterabsprachen seien unzulässig, betont der Richter.

Die Privatstiftung bietet zum Einstieg 2 Millionen Euro. Es ist die Hälfte des Schätzwertes, das Mindestgebot. Der Geschäftsführer der Immo-Firma meldet sich, danach hebt der Manager der Raiffeisenbank den Arm. Wir sind bei 2,4 Millionen Euro. Die Immo-Firma geht drüber, ist bereit, 200.000 Euro mehr zu zahlen. Danach folgt eine lange Stille. Die Vertreter:innen von Bank und Privatstiftung stecken die Köpfe zusammen, rechnen wohl, wie weit sie gehen können und wollen. Es dauert lange.

„Ich mache noch zwei Aufrufe“, sagt der Richter. „Da geht noch was“, sagt er und muss schmunzeln über sein Verhalten, das sonst eher bei kommerziellen Auktionen geübt wird. Dann kommt ein lautes Ja aus der Ecke der Privatstiftung. Damit steht die Auktion bei 2,8 Millionen. Dann folgt wieder eine lange Stille und angestrengtes Grübeln.

Der Immobilien-Unternehmer fragt, ob die Bietschritte verringert werden könnten. Dem Antrag gibt der Richter statt. Dann bietet der Mann 2,9 Millionen Euro. Der Richter schaut zum quergestellten Tisch rechts von seinem Pult: „Die Bank?“, fragt er. Der Bankmanager schüttelt den Kopf. Dann gibt es die letzte Aufforderung. Wieder herrscht Stille. Es kommt nichts mehr. Der Richter gibt der Immobilien-Firma den Zuschlag. Ohne Hammer, nur mit Worten.

Bank klagt: Sie hätten es jetzt sehr schwer

Der Geschäftsführer erhebt sich und geht zum Richterpult, vorbei am Tisch mit den Vertreter:innen der Raiffeisenbank. Der Banker schaut auf und stiert den Mann regelrecht an. Der trägt eine Hose und Sportschuhe. Seine Kunstfaserjacke raschelt bei jeder Bewegung. Das ist jetzt sein neuer Geschäftspartner.

Schlimmer als mit der Sveta Management Holding ehemals N.M.Y. Beteiligungs- und Immobilienverwertungs GmbH wird es kaum laufen können. „Gott sei Dank ist das in unserem Haus der einzige Sveta-Fall“, sagt er hörbar erleichtert nach der Versteigerung. Im anschließenden Gespräch mit dem Richter klagt er, wie schwer es seine Bank jetzt hätte. Die neue Regierung und die geplante Bankenabgabe machen ihm keine Freude. “Warum jetzt die Banken?”, fragt er in die Runde.

Beim Richter stößt er damit auf wenig Anteilnahme: “Uns kommen gleich die Tränen”, antwortet er trocken. Auch der neue Besitzer klagt: Über die geplanten Maßnahmen, um die Mietpreise im Zaum zu halten. Wenn das kommt, würden seine Einnahmen nicht einmal mehr die Inflation ausgleichen, sagt er. Wobei: Gekauft hat er das Haus ja trotzdem.

Schäden, Schmutz, Klagen und kalte Thermen

In der Versteigerung sitzt ein weiterer Mann – als stiller Beobachter, aber dennoch Beteiligter. Denn er wohnt in dem Haus, das gerade über den Tisch gegangen ist. “Ich bin wahrscheinlich der letzte Mieter mit unbefristetem Vertrag”, sagt er zu MOMENT.at. Die Wohnung ist Kategorie D. Im vorherigen Winter stellte er sein Gang WC seinen Nachbarn von unten zur Verfügung. „Die konnten ihres nicht benutzen, es war wochenlang Baustelle“, sagt er. Schon länger möchte er in seine Wohnung ein WC einbauen, auf eigene Kosten. Doch Hausverwaltung und Besitzer “stellen sich einfach taub”, klagt er. 

Auch als bei ihm wegen einer verstopften Dachrinne das Wasser in die Wohnung lief, habe sich die neue Hausverwaltung nicht gerührt. Erst als er drohte: “Ich habe ihnen gesagt: Hier rinnt es rein. Wenn nichts passiert, muss ich die Feuerwehr rufen”, habe die Hausverwaltung jemanden geschickt, der die Dachrinne freiräumte. Aber die Schäden in der Wohnung seien bis heute nicht repariert worden. “Ich habe aufgegeben, dass da was passiert”, sagt der Mieter.

Von Außen sieht das Haus gepflegt aus. Die Fassade wurde neu gestrichen. Über dem Hauseingang hängt ein Schild mit dem Logo der Sveta Group. Die Tür steht offen, jede:r kann hinein. Im Gang liegt ein Teppich, ebenfalls mit Schriftzug der Firma. Ein paar Briefkästen sind aufgebrochen. Bewohner des Hauses berichten MOMENT.at, dass es in den vergangenen Jahren ungemütlich geworden sei. 

Die Haustür sei immer wieder kaputt gewesen. In einer Wohnung sei die Therme ausgefallen. Die damalige Hausverwaltung habe sich nicht darum gekümmert, berichtet ein Mieter. Also blieb die Wohnung kalt. Eine Kündigungsklage kam. Nachdem diese abgewiesen worden war, klagte der Besitzer erneut auf Kündigung. Eineinhalb Jahre habe ein Baugerüst vor dem Haus gestanden. Gearbeitet worden sei dort nur tageweise. Bewohner:innen berichten von Bettwanzen- und Kakerlakenbefall und von Arbeiten mit dem Presslufthammer – um 4 Uhr morgens.

Zwei Einbrüche nach der Versteigerung

Laut sei es im Haus auch kurz nach der Zwangsversteigerung geworden. Zwei Tage nach dem Termin vor Gericht seien Schlosser ins Haus gekommen, berichtet ein Bewohner des Hauses. Sie hätten Türen zu den Wohnungen geöffnet, und zwar gewaltsam. “Ich habe einen lauten Knall gehört und bin hin, um zu schauen, was die da machen”, sagt ein Mieter zu MOMENT.at. Vor ihm habe ein Mann in Handwerkerkleidung mit Werkzeugkoffer und Bohrmaschine gestanden.

Der habe gerade die Tür zu einer bewohnten Nachbarwohnung aufgebrochen. “Ich habe ihn gefragt, was er da macht”, sagt der Hausbewohner. Der Mann habe nur geantwortet, dass er kaum Deutsch spreche. Am Tag darauf alarmierte der Mieter der aufgebrochenen Wohnung die Polizei. Die kam mit einer Streife und der Spurensicherung. Geklaut wurde nichts aus der Wohnung. Am Mittwoch seien wieder Leute ins Haus gekommen und hätten eine weitere Wohnung aufgebrochen und das Schloss entfernt.

Auf Nachfrage von MOMENT.at bestätigt die Landespolizeidirektion, “dass die Polizei am 09. und am 12.03.2025 wegen jeweils einer aufgebrochenen Wohnungstür alarmiert wurde”. Das Landeskriminalamt sei tätig. „Derzeit wird gegen eine unbekannte Täterschaft ermittelt.“

Wir decken auf, wie Immobilieninvestoren Gebäude zu wahren Schrotthäusern verkommen lassen. Wie sie Bewohner:innen rausekeln und die Notlage armer Menschen ausnutzen. Dahinter steckt System. Das zeigen wir in unserer Doku:

Haus kann nochmal Besitzer wechseln

Am Tag nach dem bisher letzten Polizeieinsatz kamen erneut Handwerker ins Haus. Seitdem ist die aufgebrochene Wohnung mit einem Vorhängeschloss abgesperrt. Der Auftrag dazu kam von dem Mann, der das Haus eine Woche zuvor ersteigert hatte. “Die Wohnung ist jetzt gesichert”, sagt er zu MOMENT.at. Sonst könne er nichts weiter sagen zu den Vorfällen im Haus. Er habe sich noch nicht näher mit dem Gebäude befasst. Denn noch gehöre es ihm nicht ganz. 

Das liegt an einer Zahl, die der Richter im Versteigerungsverfahren erwähnt hatte: 75 Prozent des Schätzwertes des Hauses. Bietet jemand so viel, gibt es danach kein sogenanntes Überbotsverfahren mehr. Den Zuschlag erhielt der Immo-Unternehmer für etwas weniger. Deshalb haben andere Interessent:innen noch 14 Tage Zeit, ihn zu überbieten. Und diese Frist läuft noch.

Mindestens 25 Prozent mehr als das Zuschlagsgebot müssten es dann aber sein. Nach oben ist es offen. „Wenn einer sagt, er bietet 5 Millionen, dann geht das“, sagte der Richter bei der Versteigerung und lachte leicht. Diesen Fabelpreis wird wohl niemand zahlen. Nicht in diesen Zeiten, nicht für dieses Haus.

*Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels haben wir das Haus im 17. Bezirk verortet. Es steht im 16. Bezirk. Wir bitten um Entschuldigung.


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