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Ungleichheit

Schimmel, Gedränge und horrende Mieten: Wie Menschen in Not in Wien leben müssen

Schimmel, Gedränge und horrende Mieten: Wie Menschen in Not in Wien leben müssen
In der Wiener Goldschlagstraße hausen Geflüchtete unter unwürdigen Bedingungen. Nur wenige Zentimeter neben schlafenden Kindern blüht der Schimmel. Die Immobilienfirma Pecado nutzt die Wohnungsnot von Geflüchteten aus. Vermittler:innen kassierten immense Provisionen für Schlafplätze in dem Schrotthaus ohne Heizung. Die Masche läuft im großen Stil.

In einem Stockbett liegen drei Kinder und schlafen. Behutsam deckt ihr Vater sie mit einer Decke ab. Dann weist er auf die Wand an der Längsseite des Bettes in dem keine 10 Quadratmeter kleinen Raum. Dort zu sehen: schwarzer Schimmel. Er klappt die Matratze etwas nach oben. Zum Vorschein kommt ein schwarzer Streifen am unteren Teil der Wand. Noch mehr Schimmel. Daneben leben und schlafen seine Kinder, mit jedem Atemzug gelangen Schimmelsporen in ihre Körper. Das ist gesundheitsgefährdend.

Mit seiner Frau und den sieben Kindern lebt er in einem blaugetünchten Altbauhaus in der Goldschlagstraße in Wien-Penzing. Der jüngste Sohn ist drei Monate alt, die älteste Tochter 12 Jahre. Sie besuchen Schule und Kindergarten. In seiner Heimat unterrichtete der Familienvater Arabisch. Jetzt lernt er Deutsch und träumt von einer Stelle als Lehrer. Die Familie stammt aus der syrischen Provinz Ar-Rakka im Norden des Landes. Die Mutter erzählt, wie ihr Haus von Bomben getroffen wurde. Zwei Zimmer blieben stehen, doch die Küche in ihrem Haus war weg.

Vor drei Jahren kam der Familienvater nach Wien. Er lebte zuerst in einer Männer-WG und zahlte dort 250 Euro im Monat für eine Matratze. Im Februar 2022 siedelte er in die Wohnung in der Goldschlagstraße um. Im Jahr 2023 konnte seine Familie endlich nachziehen. Ein Wiedersehen nach Jahren der Trennung. Seit acht Monaten wohnen sie gemeinsam in der Wohnung. Als der Vater hier einzog, gab es keine Möbel, dafür stand die Kloschüssel in der Dusche. Schimmel blüht auch in der Küche unter dem Kasten und in Ecken im Vorzimmer. Er zog sich auch die Wände im Wohnzimmer entlang. Seine Frau putzte sie weg. Auf eigene Kosten besorgten sie ein Entfeuchtungsgerät.

Das Haus gehört der Firma Pecado

Das Haus gehört der Immobilienfirma Pecado GmbH, genauer: der Goldschlagstraße 155 Projektentwicklungs GmbH. Geschäftsführer beider Firmen ist Stanislav Hnat. 550 Euro im Monat zahlt die Familie für die laut Mietvertrag 64 Quadratmeter große Bruchbude. Darin enthalten ist auch ein Nutzungsentgelt für Einrichtungsgegenstände in Höhe von 28 Euro. Geld für Möbel, die es in der Wohnung nicht gibt. Der Bewohner besorgte selbst welche. Eine Heizung gibt es nicht. Die Familie muss die Wohnung mit Strom warmhalten. Im August 2023 kam eine Rechnung von Wien Energie. Mehr als 3.200 Euro waren offen.


So wie die Familie wohnen Dutzende Mieter:innen hier. Fast alle Wohnungen sind belegt. Gemeinsam mit dem Falter besuchte MOMENT.at das 4-geschossige Haus und sprach mit Bewohner:innen. Das Gebäude ist verdreckt. An der Tür zum Hof ist ein Zettel angeklebt. „Rattenmonitoring 2023“ steht darauf. Alle zwei Monate setzte jemand seine Unterschrift dort hinein, seit August allerdings nicht mehr.

Hohe Kautionen fürs Einziehen

Im Hof steht ein Baugerüst an der Fassade. Doch gebaut wird hier nicht. Das Gerüst stand schon genauso da, als ein weiterer Bewohner vor zwei Jahren hier einzog. Mit ein paar anderen jungen Männern wohnt er in einer dunklen, verstellten Wohnung. In der Küche steht eine Couch, im Zimmer daneben drei Stockbetten. Neben der Tür zum Balkon kriecht auch hier Schimmel die Wand nach oben. Monatlich 650 Euro Miete müssen sie dafür an die Dreher Immobilienverwaltung GmbH zahlen. „Eine Marke der Pecado GmbH“ steht auf einer aktuellen Zahlungsaufforderung. 

Gezahlt haben die Bewohner:innen schon vorher immens hohe Beträge: 1.800 Euro Kaution zahlte er beim Einzug, dazu drei Monatsmieten Provision. In bar, ohne Rechnung oder Beleg. „Das war unser Fehler“, sagt er heute. „Ich konnte vor zwei Jahren überhaupt kein Deutsch. Ich brauchte unbedingt eine Wohnung, einen Schlafplatz“, sagt er. Also unterschrieb er den Mietvertrag und zahlte in bar.

Ein kleines Zimmer voller Stockbetten in denen die Geflüchteten Menschen als Groß-WG wohnen

Drei Stockbetten, eine Wohnküche und Schimmel in den Ecken. So müssen Geflüchtete in der Goldschlagstraße hausen.

Empfänger des Geldes seien Michael S. und Farideh S. gewesen. Sie vermitteln Wohnungen in dem Haus und kassieren dafür. Auf einem der Mietverträge steht die Unterschrift eines damaligen Pecado-Mitarbeiters: Christian N. Davor steht „i. V.“, also in Vertretung. Und zwar augenscheinlich für den Geschäftsführer der Goldschlagstraße 155 Projektentwicklungs GmbH, Stanislav Hnat.

Neues Schrotthaus, altbekannte Namen

Die Namen sind MOMENT.at seit langer Zeit bekannt. Michael S., Farideh S., Christian N. und Stanislav Hnat waren auch Protagonist:innen eines ähnlichen Konstrukts in einem leerstehenden Hostel am Gaudenzdorfer Gürtel in Wien-Meidling. Die Räume dort wurden ebenfalls an Geflüchtete vermietet. 500 Euro zahlten die Bewohner:innen. Zahlungsempfänger war Michael S. Er war gemeinsam mit seiner Partnerin und einer weiteren Frau Hauptmieter in dem Haus und untervermietete die Zimmer weiter. Dazu kamen Provisionen und Kautionen, Gebühren für die Verträge.

„Abzocke pur“, nennt das Christian Bartok von der MieterHilfe der Stadt Wien im Gespräch mit MOMENT.at. Ende 2022 wurden Strom und Heizung im Haus abgestellt. Im April dieses Jahres sogar das Wasser abgedreht. Eine Gruppe Männer kam ins Haus, Türen wurden aufgebrochen und zerstört, Räume verwüstet. Geschickt worden seien die Leute von der Hausbesitzung Pecado. Bei einem Lokalaugenschein von MOMENT.at kurz nach dem Zwischenfall, berichteten das übereinstimmend zahlreiche Bewohner:innen.

Kein Kommentar mehr

Pecado-Chef Hnat möchte nicht mit MOMENT.at sprechen. In Telefonaten kündigt er an, bei Veröffentlichungen einen Medienanwalt einzuschalten. Wenige Stunden nach einem Anruf, schickt Prokuristin Cornelia Hilgert ein E-Mail. „Wir ersuchen ab sofort jegliche Kontaktaufnahme – im Besonderen mit Herrn Ing. Hnat – zu unterlassen“, schreibt sie darin. Und: „Für den Fall einer rufschädigenden Berichterstattung behalten wir uns jedenfalls rechtliche Schritte vor.“

Im März 2023 interviewte MOMENT.at Stanislav Hnat an dessen Firmensitz in der Dreherstraße in Wien-Simmering. Der beteuerte damals, vom Untermietkonstrukt am Gaudenzdorfer Gürtel nichts gewusst zu haben. Michael S. und Christian N. bezeichnete er als Teil einer kriminellen Bande. Eine Darstellung, die unplausibel erscheint, wie MOMENT.at in einer Reportage im Mai 2023 zeigte. In einer Gerichtsverhandlung – Pecado hatte Michael S. wegen ausständiger Hauptmieten geklagt – sagte Christian N. als Zeuge und unter Wahrheitspflicht: Die Provisionen der Mieter:innen „wurden aufgeteilt zwischen S., Hnat und mir. Hnat bekam etwas mehr, ich weniger.“

Eine Nachforderung, die Kaution erneut zu Zahlen aus März 2023

Im März 2023 forderte Pecado die Mieter:innen auf, Kautionen zu zahlen – erneut. (Unkenntlichmachung: MOMENT.at)

Im März 2023 schickte die Pecado GmbH den Mieter:innen in der Goldschlagstraße eine Zahlungsaufforderung, die erstaunte. Darin hieß es, sie sollen erneut die Kaution in Höhe von drei Monatsmieten überweisen. Denn: „Auf Nachfrage konnten Sie keinen Nachweis erbringen, dass die Kaution tatsächlich erlegt wurde. Die Kaution gilt somit für uns als nicht erbracht“, heißt es in dem Schreiben. „Das mit den Kautionen haben sie im ganzen Haus gemacht. Alles war vermietet, jeder hat eine Nachforderung bekommen“, sagen die Bewohner:innen. 1.800 Euro sollte der eine Bewohner zahlen, 1.650 Euro der Familienvater. Gegenüber Falter und MOMENT.at versichern beide, die Kautionen gezahlt zu haben. Aber, wie gesagt: Von dem, der das Geld kassierte, bekam er keinen Beleg.

Auf Wiederschauen

Der sei Michael S. gewesen. S. wimmelt Versuche von MOMENT.at, mit ihm über seine Geschäfte zu sprechen, inzwischen ab. „Auf Wiederschauen“, sagt er drei Mal hintereinander ins Telefon und legt auf. In einem Gespräch im Oktober des vergangenen Jahres räumte S. ein, in Dutzenden Häusern Menschen einzuquartieren. Nicht nur in Immobilien von Pecado, sondern von weiteren Immobilienentwicklern wie der Sveta Group.

MOMENT.at berichtete im November 2023 über ein Haus in der Schleifgasse in Wien-Floridsdorf. „Ich hab schon Tausende Leute wo untergebracht, ich mache nichts Unübliches“, sagte er. Für Sveta etwa in der Schleifgasse in Wien-Floridsdorf. „Ich kenne hier alle und die kennen mich“, sagte er.

 Seit mehr als einem Jahr recherchiert MOMENT.at darüber, wie Immobilienunternehmen Gebäude zu wahren Schrotthäusern verkommen lassen. Wie Alt-Mieter:innen rausgeekelt, bedroht und eingeschüchtert. Wie die Notlage von Geflüchteten ausgenutzt wird und wie wenig offensichtlich dagegen getan wird. In einer umfassenden Dokumentation konfrontieren wir die Verantwortlichen dahinter und zeigen, wie man sich wehren kann.

Premiere ist am 28. Mai 2024 ab 18 Uhr im Wiener Admiral-Kino. Der Eintritt ist frei, anmelden kannst du dich hier.

Unterzeichnet wurden Mietverträge des Hauses in der Goldschlagstraße im Büro der Hausverwaltung Omega-BC Hausmanagement in der Habichergasse in Wien-Ottakring. Mit dabei waren die Vermittler:innen Michael S. und Farideh S., in mindestens einem Fall auch Christian N. Dazu ein „Anwalt“, dessen Namen die Bewohner nicht nennen können und Omega-Geschäftsführer Christian Ulreich. Die Firma verwaltete seit Ende 2021 rund 30 Objekte für Pecado. Die Mietzahlungen der Bewohner:innen in der Goldschlagstraße wurden über Omega einkassiert. Ulreich habe sie dann an Pecado weitergeleitet, wie er MOMENT.at bestätigte und auch als Zeuge vor Gericht aussagte.

Die Geschäftsbeziehung zwischen Pecado und Omega endete im Mai 2023 – im Unfrieden. Stanislav Hnat warf Ulreich im Interview mit MOMENT.at vor, mit Christian N. und Michael S. unter einer Decke gesteckt zu haben. „Die haben zusammengepackelt“, sagte Hnat. Ulreich nannte das beim Gespräch mit MOMENT.at in seinem Büro „eine Lüge und Unterstellung“. Heute ist dort der Rollladen vor der Tür zur Straße halb heruntergezogen. Wer klingelt, erhält keine Reaktion. Die Firma gibt es nicht mehr. „Die Gesellschaft ist infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst“, vermeldete das Handelsgericht Wien am 20. Dezember 2023. Seit Jänner rief MOMENT.at mehrere Male bei Ulreich an und schrieb Nachrichten. Der reagierte nicht mehr.  

Wohnungsnot von Geflüchteten wird ausgenutzt

Vermieter:innen, Vermittler:innen und Verwaltungen nutzen die Wohnungsnot von geflüchteten Personen in Wien aus. Am normalen Mietmarkt haben sie kaum eine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Stattdessen werden sie in Schrotthäusern einquartiert. In Wohnungen, die sonst niemand mieten würde. In Behausungen, in denen es am Nötigsten fehlt, die feucht sind und verschimmelt. 

Die Hausbesitzer:innen profitieren davon, dass die geflüchteten Menschen nicht wissen, welche Rechte sie haben und an wen sie sich wenden können. Sie wissen oft nicht, dass Schimmel in der Wohnung und eine fehlende Heizung dazu berechtigen, die Miete zu reduzieren. Dass sie Entfeuchtungsgeräte nicht selbst besorgen müssen, sondern dies Sache der Hausverwaltung ist.

Spricht man sie darauf an, dass sie sich etwa an die MieterHilfe wenden können, schauen sie fragend zurück. Wer ist die MieterHilfe? Deren Bereichsleiter Christian Bartok sagt: „Wir haben Möglichkeiten, gegen solche Zustände vorzugehen. Aber wir müssen es wissen.“

Es tut sich was

Doch es tut sich was: Medien wie MOMENT.at, Falter und ORF deckten auf, wie Geflüchtete in Häusern untergebracht werden, die sich nur als Elendsquartiere bezeichnen lassen. Und sie nennen Namen: ORF-Report berichtete, wie die Immobilienfirma Mauerwerk Geflüchtete ausnutzt. Gemeinsam mit dem Falter besuchten Reporter:innen ein Haus der Wille Investment Holding. Die Mieterhilfe prozessiert gegen Pecado. Der Grüne Klub im Wiener Rathaus brachte auf Grundlage von Medienberichten Ende April eine Anzeige bei Staatsanwaltschaft Wien ein: gegen Michael S., Pecado-Chef Hnat und Wille-Geschäftsführer Luis Wille.

Im Haus von Wille Investment ist es dasselbe Schema wie in der Goldschlagstraße. Vermittler:innen wie Michael S. und Farideh S. nutzen Kontakte in die arabische Community aus, posten Anzeigen in Sozialen Medien und schicken Angebote über Messenger-Gruppen. Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei offenbar Farideh S. Der Bewohner des Hauses in der Goldschlagstraße zeigt sein Telefon und Textnachrichten. Es sind Dutzende. Darin werden Wohnungen angeboten. Ansprechpartnerin ist immer wieder Farideh S.

Wir wollten mit ihr sprechen. Die Frau mit den blond gefärbten Haaren ist Besitzerin eines Restaurants in der Thaliastraße in Wien-Ottakring. Falter und MOMENT.at besuchen das Lokal. Wir geben uns als Interessenten für eine Wohnung aus. Die Mitarbeiter:innen dort sagen, die Chefin schaue nur ganz selten einmal vorbei, zum Abrechnen. „Sie hat immer viel zu tun“, sagen sie. In einem Telefonat bittet Farideh S. darum, eine Nachricht zu schreiben und schickt gleich darauf ein Emoji mit einem erhobenen Daumen. Eine weitere Nachricht kommt bis Redaktionsschluss nicht.

Die Uhr zur Wohnungslosigkeit tickt

Im März 2024 erhielten die Bewohner:innen in der Goldschlagstraße Post von der Dreher Immobilienverwaltung. Der Mietvertrag läuft zum 31. März 2025 ab, heißt es. „Eine Verlängerung ist leider nicht möglich“, schreibt die Pecado-Firma. Die Familie und die Bewohner:innen hätten dann wieder keine Bleibe. Bekommen sie bis dahin keine Hilfe von der Stadt Wien und anderen Organisationen, müssten sie sich möglicherweise wieder an Vermittler:innen wie Farideh S. und Michael S. wenden – und wieder eine immens hohe Provision zahlen.

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