Zwangsverwaltung in Häusern von Mauerwerk: Dubiose Geschäfte hinter maroden Wänden

“Und was wollen Sie?”, fragt der ältere Herr in Jogginghosen. Er ist gerade aus seiner Wohnungstür im Haus in der Salzachstraße 46 in Wien Brigittenau getreten. In der Hand hat er eine ISO-Handleuchte. “Sie müssen schon nähertreten, ich habe mein Hörgerät nicht eingesetzt”, sagt er.
Dann erzählt er: Seit 60 Jahren wohne er im Haus. Früher standen im Hof noch Pferde. Jetzt ist da gar nichts mehr, außer etwas im Hof verteilter Schutt. “Hier wurde nie etwas gemacht, kein Verputz, keine Renovierung.” Das Außenklo musste er sich mit drei anderen Mietparteien im Stock teilen. “Können Sie sich das vorstellen?”
Auf eigene Faust habe er ein WC in seine Wohnung gebaut. “Habe die Hilti genommen und es einfach gemacht.” Jetzt ist das ehemalige Klo seine Abstellkammer. Mit einem Ruck öffnet er die Tür. Das Stromkabel der Handleuchte wirft er geschickt durch ein kleines Fenster oben in der Wand, hinter der seine Wohnung ist. Das Kabel hängt jetzt in Kopfhöhe quer über den Gang.
Ende 2020 kam “der ägyptische Fußballer”, wie er ihn nennt, und übernahm das Haus. Der habe Geflüchtete im Haus einquartiert. “Und er hat Kameras auf den Gängen installiert, um zu kontrollieren, was die hier machen”, sagt der Bewohner und zeigt auf einen schwarzen Kasten, der von der Decke im Gang hängt. “Das ist verboten.” Seine Tochter arbeite für eine Anwaltskanzlei, die wisse das.
Mauerwerk-Haus unter Zwangsverwaltung
Der Fußballer, das ist Mustafa Elnimr. Er ist Gründer der Immobilienfirma Mauerwerk. Eine der Firmen seiner Gruppe war Besitzer des Hauses in der Salzachstraße. “Jetzt haben sie ihm das weggenommen. Wie’s hier weitergeht? Keine Ahnung”, sagt der Pensionist und geht zurück in seine Wohnung. Er verabschiedet sich mit den Worten: “Junger Mann, Sie halten auf, ich muss gehen” – und klappt die Türe zu.
Das Haus in der Salzachstraße steht unter Zwangsverwaltung. Ein per Gericht bestellter Immobiliensachverständiger kümmert sich darum, dass es zumindest keine Gefahr mehr für die Bewohner:innen ist. Als eine der ersten Maßnahmen wurde das Dach abgedichtet. Leitungen wurden repariert, Stolperfallen beseitigt und offene Kabel ordentlich gesichert.
“Damit da nichts mehr passiert”, sagt Christian Bartok. Er ist Bereichsleiter der Wiener MieterHilfe. Sie unterstützt zahlreiche Bewohner:innen in Verfahren gegen die alten Eigentümer. Angestoßen und beantragt wurde die Zwangsverwaltung von der Stadt. Das gab es vorher noch nie – obwohl es seit Jahrzehnten rechtlich möglich ist.
Doch bisher waren Mieter:innen auf sich allein gestellt, wenn sie sich wehren wollten gegen Hausbesitzer:innen, die ihre Häuser verkommen lassen. Aber wer macht das schon? Wer legt sich mit den Besitzer:innen seines Hauses an und muss dann damit rechnen, die Wohnung zu verlieren? Mache die Stadt das, “nehmen wir die Last von den Schultern der Mieter, damit sie nicht unter dem Druck der Eigentümer stehen”, sagt Bartok.
Mieter:innen schikaniert in maroden Häusern
“In Wien ist für Spekulation mit Wohnraum kein Platz”, sagte Bürgermeister Michael Ludwig im vergangenen November. Die Stadt gehe nun scharf gegen Hausbesitzer:innen vor, die Gebäude verwahrlosen lassen. “Wer aus Gier Mieter:innen schlecht behandelt, soll zur Verantwortung gezogen werden”, kündigte die Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál an.
MOMENT.at und andere Medien berichteten zuvor über Häuser, in denen Alt-Mieter:innen schikaniert werden. Es sind Häuser, die nicht geputzt werden, in denen Strom und Gas fehlen, Dächer offen stehen und Wasser die Wände herunterläuft. Es sind marode Behausungen, in denen Geflüchtete einquartiert werden und horrende Mieten zahlen für oft nicht mehr als eine Matratze. In einer großen Video-Dokumentation berichtete MOMENT.at darüber.
Auch bei der Stadt Wien waren die Problemhäuser bekannt. Sie kündigte an, vier solcher Fälle bei Gerichten und der Schlichtungsstelle einzubringen. Die Besitzer:innen sollten dazu gezwungen werden, “notwendige Erhaltungsarbeiten” durchzuführen. Tun sie das nicht, könnten die Häuser unter Zwangsverwaltung gestellt werden. Der oder die Zwangsverwalter:in könnte dann Arbeiten in Auftrag geben, auf Kosten der Besitzer:innen.
Inzwischen wurden nicht nur vier, sondern zehn solcher Fälle eingebracht. “An sechs Adressen laufen Verfahren und es gibt teilweise schon Entscheidungen”, sagt Bartok. An vier weiteren Häusern hat die Stadt Anträge nach diesem sogenannten Paragraf-6-Verfahren eingebracht. “Da warten wir auf erste Verhandlungstermine.” Und: Vier weitere Fälle seien in Vorbereitung. “Die werden wahrscheinlich diese Woche eingebracht.”
Durch die Decke regnete es Abwasser
Zurück in die Salzachstraße: Dort hängt ein Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen vom Februar aus. Ein Bewohner hatte die besitzende Firma geklagt und vom Bezirksgericht Leopoldstadt bereits im Sommer 2024 Recht bekommen. Der Hausbesitzer müsse Erhaltungsarbeiten durchführen, Schimmel und Feuchtigkeitsschäden entfernen. Stattdessen legte die Firma Rekurs ein. Dieser wurde nun abgeschmettert.
In dem Sachbeschluss ist von “völliger Funktionsunfähigkeit der Heizung” zu lesen und von “einem intensiven Wassereintritt, der stellenweise starkem Regen entsprach”. Nicht lecker ist der folgende Satz: “Dabei handelte es sich um Abwasser aus Bad und WC.” Der Sachbeschluss führt durchnässte Wände und Schimmelbildung auf. ”Das Mietobjekt ist somit in keiner Weise bewohnbar”, heißt es in der Begründung des Gerichts.
Die Kosten für die bisherigen Erhaltungsarbeiten hat die Stadt dem Inhaber in Rechnung gestellt. Sie stehen jetzt als Schulden im Grundbuch. Begleichen wird diese wohl der neue Eigentümer. Ende Dezember 2024 wurde ein Kaufvertrag mit der Kontour Denis GmbH geschlossen. Richtig unter Dach und Fach ist der Verkauf nicht, im Grundbuch steht noch immer der alte Besitzer.
Die neuen Inhaber:innen legten bereits Hand an und entkernten leerstehende Wohnungen. An zahlreiche Türen im Haus wurden große X in grüner Leuchtfarbe gesprüht. Kamila König ist Geschäftsführerin der Firma, die hier jetzt tätig ist. Sie sei “aktuell intensiv mit den Sanierungsarbeiten vor Ort beschäftigt”, antwortet sie auf eine Anfrage von MOMENT.at. Für ein Gespräch stehe sie nicht zur Verfügung und bittet “noch um etwas Zeit”. Im Haus seien “sowohl bauliche als auch rechtliche Aspekte” final zu klären.
Unter anderem das: Noch immer leben in der Salzachstraße Geflüchtete auf engstem Raum in heruntergekommenen Wohnungen. “Es ist Wahnsinn, wie die Flächen überbelegt sind”, sagt Karl Fichtinger zu MOMENT.at. Er ist der gerichtlich bestellte Zwangsverwalter des Hauses.
Scheinuntermieten mit Geflüchteten
Die Bewohner:innen nennt er “arme Teufel”, das Haus eine “grindige Hüttn”. Die Männer dahinter, die hohe Mieten einkassieren, seien “Wucherer und Spekulanten”. Einige von ihnen kenne Fichtinger seit Jahrzehnten. Über sie sagt er: “Taschendieb bleibt Taschendieb.”
Für Fichtinger und die neuen Eigentümer:innen gehe es jetzt auch darum, “diese komischen Mietverhältnisse zu ordnen”. Denn in der Salzachstraße wurde ein System aufgezogen, das auch in anderen Häusern in Wien so abläuft. Es ist ein System von Scheinuntermieten. “Über Strohmänner werden Konstruktionen geschaffen, um hier Wohnungen im großen Stil unterzuvermieten”, sagt Christian Bartok.
Das hat Vorteile, aber nur für die Hausbesitzer:innen. Wer hier zur Untermiete lebt, kann kaum Rechte geltend machen und ist dem Hauptmieter praktisch ausgeliefert. Beschließen Hauptmieter und Vermieter, ihre Mietverträge aufzulösen, müssen die Untermieter:innen raus. Einen Kündigungsschutz gibt es für sie nicht. MOMENT.at berichtete vor rund zwei Jahren erstmals darüber, wie das in einem Haus in Wien Meidling gemacht wurde. Die Beteiligten hießen anders, das Prinzip war dasselbe.
Das zwangsverwaltete Mietshaus in der Salzachstraße gehört zu einem verschlungenen Netzwerk rund um Mauerwerk-Gründer Mustafa Elnimr. Er ist bekannt als Gründer und Präsident des Fußballvereins FC Mauerwerk Immo, der in der Regionalliga Ost antritt. Zuletzt machte der Verein negative Schlagzeilen: Bei einem Spiel gegen den Wiener Sport-Club gingen Fans und Ordner des FC Mauerwerks auf die Spieler des Sport-Clubs los. Die Polizei schritt mit 50 Einsatzkräften ein.
Wie verschlungen es bei Mauerwerk zugeht, zeigt ein Blick in Firmendatenbanken. Laut Grundbuch gehört das Haus der Salzachstraße 46 Immobilienverwertung GmbH. Deren alleiniger Gesellschafter ist die Seidengasse 44 GmbH. Zu 94 Prozent gehört dieses Unternehmen wiederum zur K&G Immobilienprojekt Eins GmbH. Die restlichen 6 Prozent hält Mustafa Elnimr persönlich. Er ist gleichzeitig Geschäftsführer beider Firmen und gesetzlicher Vertreter der Salzachstraße 46 GmbH. Alle Firmen haben ihren Sitz an derselben Adresse in Wien Donaustadt wie zahlreiche weitere Unternehmen der Gruppe.
System von Scheinuntermieten
Hauptfirma dabei ist laut Mauerwerk-Website die Mauerwerk Immobilien Holding GmbH. Ausgerechnet diese Firma hat ihren Namen im Dezember 2024 geändert und heißt nun Marki GmbH. In dieser hat Mustafa Elnimr keine Funktion mehr. Ein neuer Geschäftsführer wurde eingesetzt, die Adresse gewechselt. Auf der Website von Mauerwerk ist Elnimr weiterhin als Geschäftsführer angegeben. Das Impressum von Mauerwerk.at besteht aus einer leeren Seite. Am Dienstag war die gesamte Firmen-Website mehrere Stunden offline, ab dem Nachmittag aber wieder erreichbar.
Namenswechsel, Firmenumzüge und die Änderung von Besitzverhältnisse machen Aufwand und kosten Geld. Anzunehmen ist also, dass es einen Grund gibt, warum das gemacht wurde. Welcher das ist? Unklar. Als MOMENT.at bei Mauerwerk anruft, hebt niemand ab. Eine Nachricht mit Bitte um Rückruf über das Kontaktformular bleibt unbeantwortet, ebenso ein E-Mail mit Fragen an Elnimr.
Hauptmieter für rund ein Dutzend Wohnungen in der Salzachstraße ist Hamed Ali S. Er ist Unternehmer mit mehreren Firmen in Wien. Die MieterHilfe hat Verfahren angestrengt, in denen die Untermietverträge der Bewohner:innen in befristete Hauptmietverträge umgewandelt werden sollen. In acht Fällen in der Salzachstraße sei das bereits gelungen. “Dabei wurde S. einvernommen und hat alles zugegeben”, sagt Bartok.
Er habe zugegeben, “dass er diese Wohnungen von Mauerwerk angemietet hat und beide damit ein Geschäft gemacht haben”. Die Firma Mauerwerk bestreite, dass sie selbst beteiligt gewesen sei. Doch: Inzwischen gebe es auch einen “Sachbeschluss, dass es sich hier um Scheinuntermieten handelt und Mauerwerk davon Bescheid wusste und bewusst das Modell so gewählt hat”, sagt Christian Bartok. “Damit ist das rechtskräftig bestätigt.” MOMENT.at ruft Mohamed Ali S. an und spricht mit der Bitte um Rückruf auf seine Mailbox. Dieser bleibt bis Redaktionsschluss aus.
S. ist auch in anderen Häusern und für andere Wiener Immobilien-Unternehmen tätig. Etwa in einem Haus in der Bräuhausgasse in Wien Margareten. Das Gebäude sollte in der vergangenen Woche zwangsversteigert werden. Im offen einsehbaren Gutachten zum Haus ist zu lesen: Das gesamte Haus “wurde mit Generalmietvertrag vom 6. März 2023 befristet bis 29. Februar 2028” an eine Firma von S. vermietet.
Stadt hat 90 Häuser im Visier
“Diese hat sämtliche Wohnungen an Flüchtlinge vermietet”, heißt es dort. Der monatliche Mietzins: 7.300 Euro. Das Gebäude gehört der Sveta Immo12 Immobilien GmbH. Vor einigen Wochen meldete dieses Unternehmen Insolvenz an, MOMENT.at berichtete darüber. Die Zwangsversteigerung des Sveta-Hauses in der Bräuhausgasse wurde kurz vor dem Termin vom Gericht abgesagt und alle Dokumente dazu offline gestellt. MOMENT.at liegen sie vor.
In einem Haus in der Othmargasse in Wien Brigittenau hat das zuständige Gericht ebenfalls eine Zwangsverwaltung angeordnet. Wieder gehört das Gebäude einer Mauerwerk-Firma. Allerdings hat sie Rechtsmittel dagegen eingelegt. “Das ist Verzögerungstaktik”, sagt Bartok. “Weil ich vermute, dass auch dieses Haus zum Verkauf steht.” Verständlich: Für ein Haus, das unter Zwangsverwaltung steht, kann ein:e Besitzer:in wohl kaum Höchstpreise verlangen.

Die 14 Häuser, die jetzt Teil von Verfahren sind oder kurz davor stehen: Das sind zwei mehr als das “Dutzend Häuser, die wir genau observieren”, wie Wiens Bürgermeister Michael Ludwig vergangene Woche im ORF-Report sagte. Insgesamt seien rund 90 Häuser in Wien auf der Liste der Behörden, sagt Christian Bartok von der MieterHilfe. “Dort sind erste Anzeichen wahrnehmbar, dass etwas nicht in Ordnung ist”, sagt er.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Immo-Besitzer
Dabei geht es nicht nur um die Verwahrlosung von Häusern. Die Stadt brachte bei der Staatsanwaltschaft Wien auch Sachverhaltsdarstellungen gegen Hauseigentümer:innen ein. Die Verdachtsmomente reichen von Allgemeingefährdung bis Sachwucher. “Da laufen die Ermittlungen noch”, sagt Bartok. Die Staatsanwaltschaft Wien antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage von MOMENT.at zum Stand dieser Ermittlungen. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Gegen welche weiteren Firmen und an welchen Adressen die Stadt jetzt vorgeht, dazu halten sich die Behörden äußerst bedeckt. Nur soviel: So gut wie alle Firmen, die in den vergangenen Jahren in Medienberichten zu sogenannten Schrotthäusern, Problemhäusern oder Horrorhäusern aufgetaucht sind, “dürfen bei unseren Verfahren mitspielen”, sagt Bartok. “Wir haben geschaut, dass wir das recht breit auffächern.”
Doch warum tut sich die Stadt Wien schwer damit, die Namen von Immobilien-Unternehmen zu nennen, die mit dubiosen Methoden am Wiener Mietmarkt agieren? “Wien ist an die rechtlichen Gegebenheiten gebunden”, heißt es aus dem Büro von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál. “Wir können nicht Feuer mit Feuer bekämpfen”, sagt ein Mitarbeiter zu MOMENT.at.
Die Stadt und ihre Behörden würden mit allen Mitteln gegen dubiose und kriminelle Methoden am Wiener Mietmarkt vorgehen. Aber: “Wir können nicht einzelne Personen raushängen und zum Feind erklären.” Und er fügt an: “Wir sind aber die letzten, die sich beschweren, wenn darüber berichtet wird.”