Billiges Fliegen: Wie die Branche Steuern bekämpft
Europa subventioniert das Fliegen, die Airlines kämpfen mit harten Bandagen dafür, dass das auch so bleibt.
Europa fliegt und fliegt, und Europas Bevölkerung fliegt aufs Fliegen! Jahr für Jahr steigt die Zahl der Menschen, die per Flugzeug Urlaubsziele ansteuern und zu Geschäftsterminen reisen. Im vergangenen Jahr hoben 1,1 Milliarden Passagiere an Europas Flughäfen ab, 5 Prozent mehr als im Jahr davor. Dabei ist Fliegen die klimaschädlichste Art von einem Ort zum anderen zu kommen. Der Anteil des Flugverkehrs am gesamten CO2-Ausstoß in der EU beträgt 3,6 Prozent.
Aber: Es ist ziemlich schnell und auch noch verdammt billig. Für wenig Geld kommen wir heute an fast jeden Ort in Europa. Ein Städteflug verbilligte sich in Österreich im vergangenen Jahr um 24 Prozent. Nirgendwo sonst sanken die Preise laut Statistik Austria im Jahr 2018 mehr als hier. Trotz Flugscham entscheiden sich deshalb viele dafür, in die Luft zu gehen.
Der Flugverkehr ist vielfach steuerlich privilegiert
Markus Gansterer, VCÖ
Doch wie schaffen es die Fluglinien, ihre Tickets so billig anzubieten? Nur damit, standardmäßig keinen Kaffee an Bord mehr auszuschenken, die Passagiere beim Einchecken sich selbst zu überlassen und ihr fliegendes Personal schlecht zu bezahlen, geht sich das nicht aus. Ein weiterer Faktor spielt die größere Rolle: Europas Fluggesellschaften werden von den EU-Ländern schlichtweg massiv subventioniert.
Auf das Kerosin, das die Maschinen tanken, entfallen null Prozent an Mineralölsteuer. Internationale Flüge sind von der Mehrwertsteuer ausgenommen. So erhalten Flugzeuge einen großen Vorteil gegenüber allen anderen Verkehrsmitteln. Wer Zug fährt, zahlt im Inland 10 Prozent Mehrwertsteuer auf sein Ticket. Auf den Strom, der den Zug antreibt, ist eine Energieabgabe fällig. Auf Diesel und Benzin werden Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer draufgeschlagen. Einzig für Inlandsflüge wird eine Mehrwertstuer von 13 Prozent erhoben. Aber: „Der Flugverkehr ist vielfach steuerlich privilegiert“, sagt Markus Gansterer, Mobilitätsexperte beim Verkehrsclub Österreich (VCÖ) zu Moment.
Keine Steuern: Ein Relikt aus dem Krieg
Diese Bevorzugung ist ein Relikt aus einer anderen Epoche: Seit 1944 gibt es das Chicagoer Abkommen, dem fast alle Staaten der Welt beigetreten sind. In diesem Regelwerk der Luftfahrt wurde unter anderem festgelegt, Kerosin von der Mineralölsteuer auszunehmen. „Ziel war es, die zivile Luftfahrt zu fördern“, sagt Steuerexpertin Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) zu Moment.
Es gibt einen großen Lobbyeinfluss der Branche.
Margit Schratzenstaller, WIFO
Allein: Das geschieht nicht. „Es gibt einen großen Lobbyeinfluss. Der Branche ist es gelungen, die Steuerbefreiung erfolgreich beizubehalten“, sagt Schratzenstaller. „Sie argumentieren dabei erfolgreich mit Standortpolitik.“ Im Klartext: Wie bei Vermögensabgaben, Gewerbesteuern und CO2-Bepreisung spielen die international agierenden Unternehmen die einzelnen EU-Länder gegeneinander aus. „Sie sagen, Kerosinsteuern könne man nicht einführen, denn dann würden die Flugzeuge woanders tanken“, sagt VCÖ-Experte Gansterer.
Walter Reimann, Manager bei der Austrian Airlines (AUA), argumentiert gegenüber Moment genau mit solchen „Verlagerungseffekten“. Wenn allerdings in der gesamten EU Kerosinsteuern fällig würden, dann wäre das „tatsächlich weitgehend ausgeschlossen“, räumt er ein – nur um den Ball sofort auf das globale Spielfeld zu schießen: Fluggesellschaften aus dem Mittleren Osten würden bereits heute nicht in Europa tanken, sagt Reimann. Aus Sicht der AUA seien „nur globale Lösungen wirklich effektiv und daher sinnvoll“.
Ein kleinlauter Bittbrief der Minister
Aber: Im Jahr 2017 machten Flüge innerhalb Europas 77 Prozent des Starts und Landungen in der EU aus. Wenn diese „sich einigt, Kerosin zu besteuern, wohin sollen die Fluglinien dann zum Tanken ausweichen?“ fragt Gansterer. Wer von Wien nach München fliegt, würde wohl kaum einen Abstecher zum Tanken hinter die EU-Grenze im Osten akzeptieren. Zumal Europa schon heute als „Steuerparadies“ gilt, wenn es ums Fliegen geht. Denn zumindest auf Inlandsflügen erheben andere Länder sehr wohl eine Kerosinsteuer: In den USA ist es durchschnittlich ein Euro Cent pro Liter, in Saudi-Arabien sind es zwei Cent und in Japan 14 Cent.
Dabei wissen die Staaten selbst, dass es so nicht mehr weitergeht. Am 7. November erklärten die Finanzminister neun europäischer Länder, darunter die Schwergewichte Deutschland, Frankreich und Italien, dass „verglichen mit anderen Transportarten, der Flugverkehr nicht ausreichend besteuert wird“. Beinahe beängstigend kleinlaut wenden sich die Minister in der Erklärung an die neue EU-Kommission, „die Debatte um Steuern in der Luftfahrt einen Schritt weiter zu führen“. Windelweich formuliert, ohne konkret etwas zu fordern, ist dieser Bittbrief eher ein Kandidat für die Rundablage.
Lobbyisten greifen EU-Minister an
Die Luftfahrtbranche tritt da ganz anders auf. Sie verteidigt verbissen ihre Privilegien. Das Statement sei „voller Mängel“, schrieb nur einen Tag später die Fluglinien-Allianz „Airlines4Europe“. Über ihre Konzernmutter Lufthansa ist dort auch die AUA Mitglied. Im vergangenen Jahr mussten die Fluglinien insgesamt 5 Milliarden Euro für Verschmutzungszertifikate und andere Abgaben leisten, rechnet „Airlines4Europe“ vor.
Sie seien schon heute „finanziell stark belastet“, sagt Walter Reimann von der AUA, eine „Mehrfachbelastung“ lehnt er ab. Allerdings: Weltweit erwarten die Airlines in diesem Jahr umgerechnet 780 Milliarden Euro umzusetzen und dabei 25 Milliarden Euro Gewinn einzufahren. Da sind 5 Milliarden Euro auf einmal gar nicht mehr so viel.
Sie investieren viel, um gegen Flugsteuern anzukämpfen.
Andrew Murphy, NGO Transport & Environment
Andrew Murphy, Experte für Luftfahrt beim internationalen, auf ökologische Nachhaltigkeit zielenden Verkehrsverband “Transport & Environment” (T&A) bekommt in der EU-Hauptstadt Brüssel in erster Reihe fußfrei mit, wie die Airlines auf die Politik einwirken. Sein Büro liegt nur wenige hundert Meter vom Sitz der “Airlines4Europe” entfernt. “Sie investieren viel, um gegen Flugsteuern anzukämpfen”, sagt er zu Moment. Tatsächlich zahlten die Linien für ihren Beitrag zur europäischen Luftverschmutzung “im vergangenen Jahr allenfalls eine Milliarde Euro”, so Murphy.
Das liegt auch an einem Geburtsfehler des Handels mit den Rechten auf Verschmutzung. “Damals wurden 85 Prozent der Zertifikate den Airlines kostenlos gegeben”, sagt WIFO-Forscherin Schratzenstaller. Inzwischen beträgt der Anteil der Gratis-Zertifikate noch immer 82 Prozent. Langstreckenflüge an Ziele außerhalb Europas sind vom Zertifikatehandel sowieso ausgenommen. “Als versucht wurde, das einzuführen, gab es einen Riesenaufstand der USA und China und es wurde auf Eis gelegt”, sagt Schratzenstaller.
Stattdessen setzte die Branche mit CORSIA ein eigenes Programm auf: Ab 2021 wollen die Fluglinien CO2 „kompensieren“ und mehr in sauberere Flugtreibstoffe investieren. Aber: „Das ist auch zahnlos. Denn bis 2026 ist die Teilnahme freiwillig“, sagt Schratzenstaller. Zudem wird nur jede zusätzlich erzeugte Tonne CO2 davon erfasst. Was die Flugzeuge schon heute Jahr für Jahr in die Luft blasen, bleibt frei. „Die Luftfahrtverbände sagen natürlich, man braucht keine Steuern, weil es dieses System geben soll“, sagt Schratzenstaller.
Steuern brächten Österreich Milliarde
Die Luftfahrtindustrie betont so oft es geht, wie bedeutend sie für die europäische Wirtschaft ist. Und auch, dass die gesamte Wirtschaft leiden würde, sollte der Flugverkehr stärker besteuert werden. Doch daran bestehen erhebliche Zweifel. Im ließ die EU-Kommission eine Studie erarbeiten, die zum gegenteiligen Schluss kam: Kerosinsteuer und Mehrwertsteuer würden die Wirtschaft nicht negativ beeinflussen – einzig der Flugverkehr würde abnehmen.
Eine Kerosinsteuer von 33 Cent pro Liter brächte EU-weit 27 Milliarden Euro ein und würde die CO2-Emissionen um 11 Prozent reduzieren, weil weniger geflogen würde. Für Österreich rechnen die Studienautoren mit 337 Millionen Euro an Einnahmen. Eine Mehrwertsteuer auf Flugtickets würde uns weitere 607 Millionen Euro in den Haushalt spülen.
Bericht lag ein Jahr in der Schublade
Die Studie wurde bereits Mitte 2018 fertig gestellt, zunächst aber nicht veröffentlicht. Erst nachdem T&E im Mai dieses Jahres einen Entwurf des Dokuments leakte, veröffentlichte die EU-Kommission den Bericht im Juni auch offiziell. “Die Studie hat nicht zu den Argumenten gepasst, die die Airlines vertreten”, sagt Andrew Murphy. Die Ergebnisse seien von der EU-Kommission nicht erwartet worden, sagt Markus Gansterer vom VCÖ.
Darauf angesprochen erklärt ein Sprecher des Direktoriums für Transport der EU-Kommission lediglich, der Bericht sei im Juni 2019 fertiggestellt und dann auch veröffentlicht worden. Die Frage, ob und wie lange die Studie zuvor bewusst in der Schublade gelegen ist, beantwortet die Kommission gegenüber Moment nicht.
Die Studie stellt keine Empfehlung der EU-Kommission dar.
Sprecher der EU-Kommission
Auf die von den Verkehrsverbänden geäußerten Vermutung, die Studienergebnisse hätten der Kommission nicht gepasst, geht der Kommissionssprecher nicht ein. Noch einmal um Antwort gebeten, antwortet er: dass die EU-Kommission „Ansichten und Behauptungen nicht kommentiert. Von unserer Seite gibt es nichts hinzuzufügen.“
Allerdings gibt er sich viel Mühe, sich so weit wie möglich vom veröffentlichten Bericht zu distanzieren: “Die Studie wurde von einem externen und unabhängigen Institut durchgeführt und stellt keine Forschungsergebnisse oder Empfehlungen vonseiten der Kommission dar”, schreibt der Sprecher – freilich, ohne dass Moment ihn danach gefragt hätte.
Der Branche nicht auf die Zehen steigen
“Die EU-Kommission war schon immer sehr wohlwollend der Industrie gegenüber”, sagt Murphy von T&E. Bei regulatorischen Fragen herrsche in Ministerien und Behörden “generell ein großes Verständnis für die Industrie”, sagt Gansterer vom VCÖ. “Und dann kommt vielleicht noch politischer Druck hinzu, einer großen Branche nicht auf die Zehen zu steigen.”
Exemplarisch dafür: Österreich unternahm in der Vergangenheit durchaus einen Schritt hin zu mehr Flugsteuern. Dass Kerosin von Steuern befreit ist, “führt zu einer steuerlichen Bevorzugung des Flugverkehrs”, schrieben die GesetzgeberInnen in den Erläuterungen zum Budgetbegleitgesetz im Jahr 2011. Um diese “Schieflage in Bezug auf die ökologische Belastung” zu verringern, wurde damals eine Flugabgabe auf jedes gekaufte Ticket eingeführt.
Finanzminister traf Lufthansa-Chef
Dieser wurden die Flügel mittlerweile mächtig gestutzt. Im November 2016 beschloss die damalige rot-schwarze Regierung, die Ticketsteuer zu halbieren: Für jeden Passagier auf innereuropäischen Flügen, die in Österreich abheben, sind seit Anfang 2018 nur noch 3,50 Euro fällig. Auf Langstreckenflügen sind es 17,50 Euro. Die Steuer zu kürzen war offensichtlich ein Entgegenkommen dafür, dass die Austrian-Konzernmutter Lufthansa versprach, in Österreich zu investieren. Der damalige Finanzminister Hans-Jörg Schelling (ÖVP) verhandelte kurz vor dem Beschluss persönlich mit Lufthansa-Chef Carsten Spohr darüber.
Neben Österreich verlangen in der EU derzeit Großbritannien, Schweden, Deutschland und Frankreich eine Ticketsteuer. Italien erhebt eine ähnlich funktionierende Einstiegssteuer und eine Steuer der jeweiligen Stadtregierung. Einige Länder erheben eine Mehrwertsteuer auf Tickets für Inlandsflüge.
Bürger fragen: Warum zahlen wir fürs Fliegen nicht?
Andrew Murphy, T&E
Die Experten plädieren deshalb mit Nachdruck für eine gesamteuropäische Lösung. Schratzenstaller sieht derzeit ein Fenster für angemessene Flugsteuern. Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe schließlich einen “Green Deal” angekündigt. “Es ist ein bisschen was in Bewegung gekommen”, so Markus Gansterer vom VCÖ. Und Andrew Murphy sagt: “Es hat sich einiges geändert in den vergangenen 18 Monaten. Viele BürgerInnen fragen, warum sie für Benzin, Diesel und Heizen Umweltsteuern zahlen, aber ausgerechnet fürs Fliegen nicht.” Er rechnet damit, dass eine Gruppe von EU-Ländern vorangehen und Steuern erhöhen werde. Nach und nach würden weitereLänder nachziehen.
WIFO-Forscherin Schratzenstaller schlägt vor, Einnahmen aus den Steuern auf Tickets und Kerosin in den einzelnen EU-Ländern dafür einzusetzen, Abgaben auf Löhne und Gehälter zu senken und in klimafreundliche Infrastruktur zu investieren. Eine zweite Möglichkeit wäre, das Geld direkt in den EU-Haushalt fließen zu lassen und dafür die Mitgliedsbeiträge der einzelnen Länder entsprechend zu verringern. Auch das würde es den Ländern ermöglichen, beispielsweise GeringverdienerInnen steuerlich zu entlasten.
Nur 17 Prozent fliegen öfter als einmal
Das würde mehr Menschen zugutekommen als die derzeit sehr billigen Flugtickets. Auch wenn es angesichts des Gedränges an den Flughäfen nicht so wirkt: Viel zu fliegen ist noch immer ein Minderheitenprogramm. Ein Drittel der ÖsterreicherInnen reist nie mit dem Flugzeug. Die Hälfte der Bevölkerung fliegt nur einmal jährlich und nur 17 Prozent heben öfter als einmal pro Jahr ab. Vier von zehn Flügen sind zudem Geschäftsreisen.
Ob es nötig ist, diese Flüge staatlich zu fördern, sollte hinterfragt werden.