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Arbeitswelt

Corona-Krise am AMS: Wo der Türsteher aufpasst

Die Corona-Krise hat so viele Menschen arbeitslos gemacht wie noch nie in Österreich. Vor dem von Security geschützten Arbeitsmarktservice in Wien-Favoriten warten jetzt Leute, die vorher nie ohne Job waren. Ein Schock. Hilfe erwarten sie eher nicht. Die Schlange ist lang und die Stimmung kocht mitunter über.
Montagmorgen, 8 Uhr. Laxenburger Straße 18 in Wien-Favoriten. Das gesichtslose Bürohaus ist das Arbeitsmarktservice für den 10. Wiener Gemeindebezirk. Wer hier vor dem Haupteingang in der Schlange steht und wartet, ist nicht freiwillig da. Ein junger Mann in regenfester, schwarzer Jacke mit dem Logo einer Sicherheitsfirma darauf steht vor dem Eingang. Halbvoller Bart, groß, breit, Haare hinten zu einem kleinen Zopf gebunden. Er lässt nur dann jemanden hinein, wenn eine andere Person hinausgegangen ist.

Der Mann trägt einen Mund-Nasen-Schutz, klar in Zeiten der Coronavirus-Pandemie. Wenn er mit jemandem redet, zieht er die Maske herunter und ein paar Zentimeter vom Mund weg. Das ist nicht ganz im Sinne des Erfinders, aber so redet es sich einfach leichter. Und reden muss der Türsteher des AMS viel am heutigen Morgen. Er bremst Leute aus, die allzu forsch an der Schlange vorbei ins AMS-Gebäude laufen. Sie sollen sich bitte hinten anstellen, fordert er sie in Varianten und verschiedenen Graden der Unfreundlichkeit auf. Mit Journalisten mag er aber nicht ins Gespräch kommen. Da hätte er Vorgaben, sagt er.

Der Krisenjob schlechthin: Essen zubereiten für Fluglinien

Dafür möchte Mohammed reden: Der Mann, schwarze Haare, schwarze Brille, Rucksack, blauer Mund-Nasen-Schutz, ist seit diesem Monat arbeitslos. „Am 29. Mai war mein letzter Tag“, sagt er zu MOMENT. Wo er gearbeitet hat? „Ich war bei Do&Co und habe dort für Fluglinien in der Großküche die Mahlzeiten produziert“, sagt Mohammed. Damit ist er gleich in zwei Branchen tätig, die in der Corona-Krise besonders leiden: Gastronomie und Flugindustrie. Zudem ist er, oder besser war, bei einer Firma angestellt, die besonders schnell und besonders konsequent auf die drohende Wirtschaftskrise reagiert hat.

Pünktlich am 13. März meldete Do&Co-Chef Attila Doğudan mehr als hundert MitarbeiterInnen beim AMS an. Es war der Tag, an dem Österreichs Regierung verkündete, dass die meisten Geschäfte geschlossen werden müssen und Restaurants ganz zusperren. Einige Gemeinden in Tirol wurden unter Quarantäne gestellt und landesweit horteten Menschen Klopapier. Bei Do&Co gab es den großen Schnitt, auch für Mohammed.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es gibt nichts, keiner stellt ein.
Mohammed, 57

„Kurzarbeit haben sie mir nicht angeboten“, sagt er. Und die Aussicht, vielleicht nach Ende der Krise, wieder zurückkommen zu können? „Die gibt es nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin jetzt 57 Jahre alt.“ Fünf Jahre hat er bei Do&Co gearbeitet. Während der Börsenkurs des Unternehmens  nach einem beispiellosen Absturz Mitte März inzwischen um fast 70 Prozent zulegte, geht für Mohammed nichts mehr. Der gebürtige Bangladescher klapperte Restaurants und Großküchen ab. „Aber es gibt nichts, keiner stellt ein“, sagt er. Und so steht er heute zum ersten Mal vor dem AMS in der Laxenburger Straße.

Auch Zuzanna hat heute den ersten Termin hier. Sie ist Reinigungskraft, der Chef hat ihr gekündigt. „Es hat weniger Aufträge gegeben“, sagt sie zu MOMENT. Die Frau hat ein luftiges Kopftuch über ihre grauen Haare gebunden. In zwei Wochen wird sie 60 Jahre alt, sie könnte an die Pension denken. „Aber ich will nicht in Pension“, sagt die gebürtige Polin. Sechs Jahre hat sie für ihre Firma gearbeitet. Zuletzt gab es Reibereien mit dem Chef. Zuzanna beschwerte sich, dass sie häufig die Arbeit einer Kollegin mit übernehmen musste. „Es wurde immer anstrengender“, sagt sie. Den Chef habe das nicht interessiert. Geflogen ist sie als eine der ersten.

So viele Arbeitslose gab es noch nie

So wie Mohammed und Zuzanna ist es in Österreich in der Corona-Krise Hunderttausenden gegangen. Mit Anfang Juni stehen in Österreich 517.000 Menschen ohne Job da oder nehmen an Schulungen teil. Das sind über 50 Prozent mehr als im gleichen Monat des Vorjahres.

Am Höhepunkt der Welle an Entlassungen infolge der Corona-Krise waren es Mitte April sogar 588.000 Menschen – das gab es seit Beginn der Zweiten Republik nicht. Das Momentum Institut hat die Zahlen hier genauer unter die Lupe genommen. Auch in Favoriten schnellten die Zahlen nach oben: Ende Mai waren hier laut AMS 23.859 Personen arbeitslos gemeldet. Das sind fast 9.000 Menschen mehr als vor einem Jahr.

Je näher es gegen 9 Uhr geht, desto länger wird in der Laxenburger Straße die Schlange. Der Mann für die Sicherheit geht die Reihe ab und fragt durch, weshalb die Leute da sind. Sofort halten sie ihm ihre Unterlagen entgegen. Er schaut hinein. Einige von ihnen schickt er gleich wieder weg. Warum eigentlich? „Wegen der Corona-Schutzmaßnahmen“, sagt Sebastian Paulick, Sprecher des AMS Wien zu MOMENT.

Denn: „Grundsätzlich machen wir derzeit kaum persönliche Termine im AMS“, sagt er. Kontakte sollen weiterhin vermieden werden, so viele Dinge wie möglich sollen telefonisch geklärt werden. „Wir versuchen das zu kommunizieren“, sagt er. „Leider erwischen wir dabei nicht alle.“

Gehen Sie endlich weg!
AMS-Sicherheitsmitarbeiter

So wie offenbar auch die zierliche junge Frau mit Kurzhaarschnitt und tief ins Gesicht gezogener Baseballkappe. Energisch geht sie sie auf den Eingang zu, hält dem Sicherheitsmann, der doppelt so breit ist wie sie, ein Schreiben des AMS unter die Nase und will rein. Der stellt sich ihr in den Weg, will sie wegschicken. Plötzlich wird es laut. „Gehen Sie endlich weg!“, fordert er sie laut auf und reißt ihr dabei den Zettel aus der Hand, der inzwischen schon ziemlich ramponiert ist. Die Frau und der Mann sind kurz davor, handgreiflich zu werden.

Schließlich dreht sie sich um und geht weg, bleibt aber an der nächsten Ecke noch einmal stehen. Der Mann vom Eingang geht kurz hinterher, macht noch eine abfällige Geste in ihre Richtung und nuschelt einige Flüche vor sich hin, während er wieder zurück an seinen Platz vors AMS-Foyer geht. Die Frau steht noch eine Weile ratlos herum. Sie spricht Mitarbeiterinnen des AMS an, die vor einem Nebeneingang stehen und rauchen. Die schütteln nur den Kopf. Dann nimmt die Frau ihren Mundschutz ab, zieht die Schultern ein und trabt davon.

Termine und Fristen versäumen? Besser nicht

Die Nerven liegen mitunter blank. Kein Wunder: Wer Termine und Fristen beim AMS versäumt, wird schnell verwarnt und sanktioniert. Das Geld wird vielleicht für vier Wochen gesperrt. Wer will das riskieren, nur weil der Türsteher vor dem AMS sagt, dass der Termin nicht stattfindet. Was weiß der denn schon?

Robert geht es genauso. Auch ihn hat der Sicherheitsmann weggeschickt. Er trägt es aber mit Fassung. Der 57-Jährige ist Installateur für Lüftungen und Klimaanlagen. 40 Jahre lang hat er gearbeitet, jetzt steht er ohne Job da. „Eigentlich habe ich einen Termin heute“, sagt er zu MOMENT und zuckt mit den Achseln. Warum fällt der aus? “Ich weiß nicht, ich habe keinen Plan“, sagt er. Er ist zum ersten Mal beim AMS. Anfang März ist er in seiner Firma ausgestiegen. Es ging körperlich nicht mehr. Die schwere Arbeit, das Hantieren mit Klimageräten und an Lüftungsschächten hat ihm zugesetzt.

Ich bin sicher, ohne Corona hätte ich etwas gefunden.
Robert, 57, Installateur

Mit dem Chef war es seit November vereinbart: Jetzt sollte Schluss sein. Robert, gut ausgebildet, lange Berufserfahrung, war zuversichtlich, schnell etwas Neues zu finden. Dann kam Corona. Mit der Pandemie fuhr bei Robert die Hoffnung davon. „Das war Zufall, absoluter Zufall. Ich bin sicher, ohne Corona hätte ich etwas gefunden“, sagt er. Aber jetzt sieht es schlecht aus. Zumal in seinem Alter. „Drei Jahre hätte ich noch“, sagt er und denkt laut über Alternativen nach.

„Vielleicht mache ich mich selbständig.“ Robert ist Musikliebhaber, Sammler. 8.000 Schallplatten schlummern bei ihm im Archiv. Vor allem Rock aus den 60er Jahren. „Die könnte ich verkaufen“, sagt er. Aber vorher müsste er sie erstmal alle sortieren, katalogisieren und auspreisen, dann den Verkauf übers Internet anleiern. Immerhin: „Zeit dafür habe ich ja jetzt“, sagt er und lacht ein bitteres Lachen.

 

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