Öxit und “Scheißblatt”: Wir dürfen über die FPÖ nicht mehr überrascht sein

Jetzt ist schon wieder was passiert.
Französische Journalisten haben bei einem FPÖ-Stammtisch in Simmering mitgefilmt. Der “Standard” berichtet darüber, was zu sehen ist: Hochrangige FPÖ-Politiker hetzen gegen Migrant:innen, schimpfen auf die EU und loben die Taliban. Als Reaktion auf die Veröffentlichung bezeichnet der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp den Standard als “Scheißblatt” und freut sich auf sein Ende.
So weit, so FPÖ.

Die Reaktion darauf: Entsetzen, Empörung und … Überraschung? Doch wer jetzt noch überrascht ist von der FPÖ, hat den Schuss nicht gehört. Und das kann für uns alle gefährlich werden.
Flood the zone with shit
Eines vorweg: Es ist wichtig und notwendig, über das Vorgehen der FPÖ zu berichten.
Die Überraschung und Empörung über diesen weiteren “Einzelfall” zeigt aber auch, wie wenig Medienschaffende in den vergangenen Jahren im Umgang mit der FPÖ gelernt haben. Und wenn sich nichts ändert, verharren wir als Medien und Gesellschaft in einem konstanten Zustand der Schockstarre.
Donald Trump hat es in den USA in seiner ersten Amtszeit vorgezeigt: Medien konnten nicht mithalten. Sie berichteten sich von Skandal zu Skandal und von Lüge zu Lüge. Waren sie mit der einen fertig, wartete die nächste auf sie. Sogar gezählt wurden die: auf 30.573 falsche Aussagen kam die Washington Post. Die Strategie: “Flood the zone with shit”. Überfordere die Öffentlichkeit und die Medien.
So weit sind wir in Österreich noch nicht. Aber wir haben etwas Ähnliches: “Einzelfälle”. Man findet ganze Listen an rechtsextremen, rassistischen oder korrupten “Ausrutschern” der FPÖ.
Oh du mein Einzelfall
Konsequenzen haben die für die Partei praktisch nie. Nicht umsonst hat sich die Bezeichnung “Einzelfälle” gehalten. Man erinnere sich nur zurück an Türkis-Blau unter Sebastian Kurz. Fast täglich wurden da Details über die Umtriebe der FPÖ bekannt. Die einzige Grenze für Kurz war das Strafrecht. Gestolpert ist die Partei erst über einen möglichen Ausverkauf des Landes. Zumindest kurzfristig hat das einige Wähler:innen abgeschreckt. Heute ist die Ibiza-Affäre auch nur noch ein “Einzelfall”.
Unter Kickl ist die FPÖ noch radikaler zurückgekommen. Und ist damit noch erfolgreicher. Wir wissen genau, was die Partei will. Sie steht offen zu den Aussagen, die beim Stammtisch in Simmering gefallen sind. Mehr noch: Die Partei wurde genau für so etwas gewählt.
Und dass die FPÖ freie und kritische Medien verachtet, sollte für Medienschaffende wirklich nichts Neues sein. Der Beitrag von Nepp wurde von vielen hochrangigen FPÖ-Politiker:innen geteilt – das war kein Ausrutscher einer einzelnen Person. Es ist keine sonderlich gewagte Spekulation, dass die Bezeichnung “Scheißblatt” für halbwegs kritische Medien innerhalb der FPÖ nicht zum ersten Mal gefallen ist. Und dass die nächste Regierung genau diesen Medien das Leben schwer machen wird.
Es ist kein gutes Zeichen, dass wir noch vor Beginn der Koalition so tun, als wäre irgendwas davon überraschend. Tragisch ist, dass es auch nicht sehr schockierend ist. Dazu sind die FPÖ und ihre Aussagen schon zu normal. Wir müssen auch nicht mehr so tun, als würde die ÖVP jetzt davon überrascht. Sie geht bewusst auf diese Koalition zu.
Die FPÖ ist keine normale Partei
Warum sind dennoch viele noch so überrascht? Weil sie wohl immer noch nicht verstanden haben, dass die FPÖ keine normale Partei ist. Das sieht man auch daran, dass sie weiterhin verharmlost wird. Da wird Herbert Kickl schonmal als “aufrechter Demokrat” bezeichnet, wie in der Kleinen Zeitung.
Die FPÖ bewegt sich nur teilweise auf dem gleichen Spielfeld, das andere Parteien und Medien bespielen. Sie können sich Korruption, Rassismus und Sexismus viel eher leisten als andere – weil von ihnen nichts anderes erwartet wird. Weil wir es von ihr gewohnt sind. Und weil sie auch das im Kern ausmacht.
Wir müssen es uns ständig in Erinnerung rufen: Viele Menschen wählen die FPÖ nicht trotzdem, sondern genau deswegen. So etwas “aufzudecken”, wird noch kaum jemanden zum Umdenken bewegen.
No alarms, no surprises
Medien erwarten bei vielen Aussagen der FPÖ, dass es nur bei Botschaften bleibt. Das sind sie von ihrem Spielfeld so gewohnt. Dort geben sich Parteien manchmal kantig und grob. Aber es wird darauf heißer gekocht, als gegessen wird – besonders in Österreich.
Die FPÖ sagt aber ganz klar, was sie will. Es wird Zeit, das nicht mehr abzutun, sondern ihr zu glauben. Sonst werden die Herzprobleme in der Medienbranche vor ständiger Überraschung in den kommenden Jahren eskalieren.
Bisher kennen wir die FPÖ nur schaumgebremst an der Macht. Jetzt hält sie alle Trümpfe in der Hand und kann walten, wie sie will. Auf ein Gegengewicht der ÖVP können wir uns nicht verlassen. Die hat schon die demütigenden Aussagen aus dem Stammtisch-Video geschluckt. Ihr bleibt auch nichts anderes übrig – zu fest haben sich ihre Hände in der Macht verkrallt.
Und jetzt?
Dagegen helfen auch kritische Medien. Für die gilt es jetzt vor allem, nicht mehr über jeden Furz der FPÖ überrascht zu sein. Sie müssen jetzt immer wieder aufzeigen, was die Politik der FPÖ für Wähler:innen eigentlich bedeutet. Und sie dürfen sich nicht mit ständiger Empörung über die Skandale der Partei begnügen. Sondern Alternativen, Auswege und Lösungen aufzeigen.
Dafür muss man das Kind aber auch beim Namen nennen: Die FPÖ handelt offen rassistisch, sexistisch und immer wieder rechtsextrem. Das ist nicht neu. Das ist kein abschreckender Tabubruch. Das ist die reale Gefahr für das demokratische System dieses Landes.
Wenn wir endlich verstehen, dass die FPÖ keine normale, demokratische Partei ist und keine sein will, müssen wir uns zumindest nicht darüber wundern, was alles passiert ist.