Kürzer arbeiten: Warum es Zeit ist, die Fünftagewoche zu killen
Montagfrüh ins Büro, in die Werkstatt oder hinter die Kassa und nach acht (oder mehr) Stunden Arbeitszeit wieder raus. Am Dienstag dasselbe Programm, und am Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Noch immer ist das für die meisten arbeitenden Menschen der Alltag. Ganz viele arbeiten dazu auch am Wochenende, in Schichten oder Bereitschaft.
Dabei gilt: 40 Stunden, in manchen Branchen immerhin „nur“ 38,5 Stunden, und 5 Tage in der Woche sind die Norm und sollen es auch bleiben – zumindest, wenn es nach denen geht, die einstellen und rauswerfen und die politisch darüber entscheiden, wie unser Sozial- und Pensionssystem ausschaut.
Wer weniger Stunden am Tag arbeitet und wer weniger als fünf Tage in der Woche am Arbeitsplatz ist, der muss sich nicht selten noch immer dafür erklären. Die einen rümpfen die Nase über den angeblich mangelnden Ehrgeiz und die fehlende Leistungsbereitschaft von Arbeitenden, die sich bewusst dafür entscheiden, Stunden zu reduzieren.
Sehnsucht nach kürzerer Arbeitszeit ist groß
Aber es gibt auch andere Reaktionen: Respekt dafür, beruflich kürzer zu treten und den Wunsch, selber weniger zu arbeiten. Eine große Zahl von Menschen wünscht sich laut einer Volkshilfe-Umfrage kürzere Arbeitszeiten: 58 Prozent halten eine Arbeitszeit von 35 Stunden für sinnvoll. Der Arbeitsklima-Index der Arbeiterkammer kommt regelmäßig zu ähnlichen Ergebnissen: Wer mehr als 30 Stunden die Woche arbeitet, möchte seine Zeit im Job um durchschnittlich drei Stunden reduzieren. Wer weniger Stunden als 30 arbeitet, möchte eher aufstocken. Die Normalarbeitszeit zu verkürzen heißt auch, Arbeit und Freizeit gerechter zu verteilen.
Der AK-Index zeigt auch: Männer arbeiten heute im Durchschnitt 41,5 Stunden die Woche, Väter mit Kindern ab 6 Jahren sogar 43,5. Überstunden sind Alltag, viele Firmen erwarten, dass Arbeitnehmer:innen ständig erreichbar sind. Die Digitalisierung macht es schließlich möglich. Dieser „digitale Stress“ erhöhe die „insgesamt wahrgenommene Arbeitsbelastung“, heißt es in einer Studie der FH Oberösterreich.
In der Pandemie erkennen viele: weniger arbeiten tut gut
Doch COVID-19 erschüttert die Arbeitswelt. So schrecklich die Pandemie ist und so viele Opfer sie fordert – wer in Kurzarbeit gehen musste oder im Homeoffice arbeitete und damit Zeit für den Weg zur Arbeit einsparte, erkannte mitunter: Neben der Arbeit gibt es noch anderes, das im Leben bisher zu kurz gekommen ist. Mehr Zeit für Familie und Freund:innen, für Hobbys und Erledigungen, die sonst liegenbleiben.
Das wirkte sich auf den Arbeitsmarkt aus: Im Handel, im Bäckereigewerbe, in der Gastronomie fehlen Mitarbeiter:innen. Viele hätten gemerkt, „dass sie auch mit weniger Einkommen, weniger Konsum und Reisen, dafür mit mehr Zeit für die Familie ein gutes Leben führen können“, sagte Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands jüngst im Standard.
Kürzer zu arbeiten heißt heute: auf Gehalt verzichten
Was der Unternehmensvertreter hier in blumige Worte verpackt, ist die Kehrseite von weniger Arbeitszeit bei weniger Gehalt: Viele können sich damit nicht nur keinen Urlaub mehr leisten, sondern kommen gar nicht über die Runden. Dann muss mit einem Zweitjob aufgestockt werden. Der Vorteil der Teilzeit ist dahin.
Besonders im Einzelhandel oder für Ladner:innen, beispielsweise in Bäckereien, bieten Unternehmen kaum mehr Vollzeit an, dafür aber oft ein mieses Gehalt. „Es kann nicht sein, dass man unter 10 Euro brutto die Stunde Gehalt zahlt. Davon kann keiner leben“, sagte Erwin Kinslechner, Sekretär für die Bäckereibranche in der Gewerkschaft PRO-GE zu MOMENT.
Heute wird viel mehr Teilzeit gearbeitet – nicht immer freiwillig
Fakt ist auch: Schon heute hat sich die Arbeitswelt gewandelt, hin zu mehr Teilzeit. Das Momentum Institut wertete Arbeitsmarktdaten seit 1994 aus. Seit damals stieg die Zahl der Teilzeitstellen in Österreich um fast 700.000. Gleichzeitig arbeiten heute rund 60.000 Menschen weniger in Vollzeit als damals – trotz gewachsener Bevölkerung. Besonders Frauen sind immer häufiger teilzeitbeschäftigt – aber nicht immer freiwillig.
Wir machten eine Stichprobe in der Jobbörse des Einzelhandelsriesen REWE in Österrreich: Die drei Ketten Billa, BIPA und Penny hatten österreichweit 325 Vollzeitstellen im Verkauf zu vergeben – und 1.612 mit Teilzeit und meist 20 Stunden Wochenarbeitszeit. Von den eh schon spärlichen 1.700 Euro Bruttogehalt bleiben dann nur noch 883 Euro brutto. “Arbeitszeitverkürzung” wird so zum Gehaltsverzicht. Aber die Vollzeitstellen gibt es nicht mehr in ausreichender Zahl.
Unternehmen profitieren von kürzeren Arbeitszeiten
Es geht auch anders, zeigt die Praxis. Unternehmer:innen, die kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohn leben, sagen: Wir profitieren davon. Kund:innen „kommen und loben unsere Qualität und Produktivität“, sagte Klaus Hochreiter, Geschäftsführer des Marketing-Unternehmens eMagnetix zu MOMENT.
In seinem Unternehmen in Bad Leonfelden in Oberösterreich führte er vor zweieinhalb Jahren die 30-Stunden-Woche (hier zu unserer Reportage) ein, bei vollem Lohnausgleich. Die Gewinne seien seitdem gestiegen, das Unternehmen beschäftigt mehr Mitarbeiter:innen und eröffnete ein weiteres Büro in Linz.
Erfolgsmodell Arbeitszeitverkürzung ausgebaut
Inzwischen hat Hochreiter das Modell sogar ausgebaut: „Die Mitarbeiter können Woche für Woche entscheiden, ob sie lieber an vier oder an fünf Tagen arbeiten möchten“, sagt Hochreiter jetzt zu MOMENT. „Und natürlich halten wir weiter an den 30 Stunden pro Woche fest.“ Derzeit habe eMagnetix drei offene Stellen zu vergeben.
Auch Thomas Meyer, Chef einer Social Media Agentur in Wien macht Gewinne. Das „geht sich bei 32 Stunden auch mit einem Vollzeitgehalt aus“, sagte er zu MOMENT (uier unser Bericht). Seine Überzeugung: „Viel arbeiten ist nicht geil. Wir sind nicht auf dieser Welt, um nur zu arbeiten.“ Aber auch er muss auf die Zahlen schauen. „Schlussendlich zählt das betriebliche Ergebnis: Uns gibt es nach eineinhalb Jahren noch immer und wir wachsen“, sagt er.
Wer kürzer arbeitet sollte nicht weniger bekommen
„Wichtig ist, dass die Personen von der Firma bei Gehalt und sonstigen Benefits gleichbehandelt werden“, sagt der Arbeitsmarktforscher Jan Sauermann von der Universität Stockholm zu MOMENT. Er untersuchte, ob Mitarbeiter:innen eines Call Centers von kürzeren Arbeitszeiten profitieren. Sein Schluss: Dort „sollte man versuchen, nicht in Vollzeit zu arbeiten, sondern 4 bis 6 Stunden.“ Danach sinkt die Konzentration und leidet die Qualität der Arbeit.
Eines der Ergebnisse eines Versuchs in Island, der jüngst Schlagzeilen machte: Trotz kürzerer Arbeitszeit, schafften die Beschäftigten so viel wie zuvor. (Studienzusammenfassung als pdf) Daten zeigen: Wer kürzer arbeitet, ist nicht nur zufriedener, sondern auch weniger oft krank – was nicht nur den einzelnen Personen zugutekommt, sondern auch das Gesundheitssystem entlastet.
Lange Arbeitszeit macht krank und auch das kostet
Lange zu arbeiten macht auch krank. Die deutsche Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin beobachtete mit zunehmender Arbeitsdauer über 35 Stunden pro Woche einen „deutlichen Anstieg des Grundrisikos für gesundheitliche Beeinträchtigungen zwischen 50% bis 100%“. Schon im Jahr 2005 kam eine Langzeit-Studie der unter 11.000 US-Amerikanern zum gleichen Schluss: Stress und Müdigkeit durch lange Arbeitszeiten erhöhen das Risiko zu erkranken und zu verunfallen.
Das kann fatale Folgen haben. „Bei Notarztmitarbeitern, die sehr lange Schichten arbeiten müssen, hat das einen schlimmen negativen Effekt“, sagt Jan Sauermann. „Denn es wirkt sich auf die geborgenen Opfer aus.“ Die mobile Krankenpflegerin Elwira schilderte im Gespräch mit MOMENT, wie ihr lange Arbeitszeiten zusetzen: „Wenn die Arbeit zu viel ist, macht sie einen fertig und wenn wir überlastet sind, leidet auch die Qualität.“
Im Gesundheitswesen geht es nur mit mehr Personal
Gerade im Gesundheitswesen sind überlange Arbeitszeiten Standard. Die „Produktivität“ lässt sich hier aber im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen nicht so einfach steigern. Eine Krankenstation muss 24 Stunden am Tag besetzt sein, Pfleger:innen und Ärzt:innen sollen und wollen rund um die Uhr für ihre Patient:innen da sein. Kürzer zu arbeiten, geht da nur, wenn mehr Personal eingestellt wird. Das kostet Geld und das muss man wollen.
„Klar ist, dass die Träger die Lohnerhöhungen nicht allein stemmen können. Es braucht konkret die Bundesregierung“, schreibt Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts, in einem Kommentar.
Mehr Menschen einzustellen kostet nur Bruchteile des BIP
Aber wie viel mehr Geld müssen wir bereit sein, in die Hand zu nehmen? Gar nicht so viel, so Picek. „Eine fünfprozentige Lohnerhöhung in der Sozialwirtschaft kostet überschlagsmäßig rund 180 Mio. Euro.“ Das sei weniger als ein Zweitausendstel von Österreichs jährlicher Wirtschaftsleistung.
Islands Regierung musste während des Versuchs mit kürzeren Arbeitszeiten umgerechnet 28,5 Millionen Euro mehr fürs Gesundheitspersonal zahlen. Das entspricht weniger als dem 0,005-fachen des Staatshaushalts der Nordmeerinsel in Höhe von 6 Milliarden Euro. Können oder wollen wir uns das nicht leisten?
Wer kürzer arbeitet, will später in Pension gehen
Bei einem Modellversuch im schwedischen Göteborg wurde in der Kranken- und Altenpflege die tägliche Arbeitszeit von acht auf sechs Stunden verkürzt. „Die Personalkosten stiegen um 25 Prozent“, sagte Stockholms damaliger Vizebürgermeister Daniel Bernmar zu MOMENT. „Allerdings konnte die Hälfte durch indirekte Auswirkungen wieder eingespielt werden.“ Weniger Krankenstände führten zu geringeren Ausgaben bei den Krankenversicherungen.
Langzeiteffekte seien dabei noch gar nicht berücksichtigt. „Wenn wir ein besseres Arbeitsumfeld schaffen, schafft man es, dass die Leute später in Pension gehen wollen“, so Bernmar. Das habe „starke Auswirkungen auf die tatsächlichen Kosten der Arbeitszeitreduzierung.“
Länder mit kürzerer Arbeitszeit werden produktiver
Dass weniger Arbeitsstunden der Wettbewerbsfähigkeit schaden, glaubt er nicht. „Diese Annahme ist falsch,“ sagt Bernmar. „Einige der Länder mit niedrigen Arbeitszeiten sind am effizientesten und haben hohe Zuwächse bei der Produktivität.“ Der Linkspolitiker erinnert auch daran, dass im Laufe der Geschichte die Arbeitszeit immer weiter reduziert wurde. Warum soll das nicht weiter gehen? „40 Stunden werden nicht der Endpunkt sein“, sagt Bernmar.
Der britische Wirtschaftswissenschafter und Buchautor Anthony Kalb schrieb in einem Essay: „Die Arbeitszeitverkürzung galt früher als wesentlicher Indikator für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt.“ Es sei an der Zeit, „kürzere Arbeitszeiten wieder auf die politische und industrielle Agenda zu setzen.“ Das Momentum Institut errechnete: Obwohl wir innerhalb der vergangenen 35 Jahre um 71 Prozent mehr pro Arbeitsstunde erwirtschafteten, sank die Nomralarbeitszeit um keine Minute. In den Jahrzehnten davor, war das noch ganz anders (siehe unsere Grafik).
Was heute normale Arbeitszeit ist, wurde in Streiks erkämpft
Schon die 40-Stunden-Woche, die wir heute für selbstverständlich halten, musste hart erkämpft werden. Es dauerte ein halbes Jahrhundert von der gewerkschaftlichen Forderung, acht Stunden Arbeit pro Tag seien genug, bis dahin, es gesetzlich zu verankern. Davor war die Arbeitszeit das, was das Unternehmen vorgab.
„Das konnten 14 Stunden am Tag sein, es konnten sechs Tage oder gar sieben Tage in der Woche sein“, sagte der Historiker Erik Loomis jüngst im US-Magazin Vox. „In Streik nach Streik nach Streik“ sei eine lebenswertere Arbeitszeit erkämpft worden, so Loomis.
Das gilt auch heute. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten, „werden nie die sein, die hier Veränderung anstoßen“, sagt Daniel Bernmar. „Das muss immer von Gewerkschaften und Beschäftigten kommen.“